Wie unterscheiden sich internationale Studieninteressierte in Bezug auf ihre Motive für ein Studium in Deutschland?
Im vierten Teil unserer Interview-Serie zum DAAD-Sammelband “Internationale Studierende in Deutschland: Perspektiven aus Hochschulforschung und Hochschulpraxis” sprechen wir mit Dzmitry Turchyn von der Technischen Universität Berlin. Dieser promoviert aktuell zum Thema “Student Life Cycle und Motive der Bildungsmigration” und hat gemeinsam mit zwei Kollegen untersucht, wie sich internationale Studieninteressierte in Bezug auf ihre Motive für ein Studium in Deutschland unterscheiden und welche Zusammenhänge zwischen Studienmotiven und der Wahrnehmung und der Nutzung von Online-Lernangeboten zur Studienvorbereitung bestehen.
Herr Turchyn, was waren Anlass und Ziel Ihrer Untersuchung?
Die Motive, die den Entscheidungen von jungen Menschen aus aller Welt für ein Studium in Deutschland zugrunde liegen, sind für Hochschulen und Unternehmen und ebenso für die Hochschulpolitik von höchstem Interesse. Die Gründe für ein Studium in Deutschland wurden bislang fast nur bei internationalen Studierenden und Promovierenden, die bereits in Deutschland studieren oder forschen, untersucht. Selten richteten sich solche Befragungen beispielsweise an internationale Studieninteressierte noch vor Aufnahme eines Studiums, wie beispielsweise an die Besucherinnen und Besucher von Studienkollegs.
Angesichts der weiterhin hohen Bedeutung einer optimalen Studienvorbereitung für internationale Studierende und der zunehmenden Möglichkeiten und Nutzung digitaler Ressourcen zum Lernen, ist es wichtig zu wissen, wie digitale Lehrangebote von dieser Studierendengruppe genutzt werden. In einer quantitativ-empirischen Studie habe ich gemeinsam mit Felix Paschel und Jan Pfetsch deshalb untersucht, wie sich internationale Studieninteressierte in Bezug auf ihre Motive für ein Studium in Deutschland unterscheiden und welche Zusammenhänge zwischen Studienmotiven und der Wahrnehmung und der Nutzung von Online-Lernangeboten zur Studienvorbereitung bestehen. Damit möchten wir allen, die sich wissenschaftlich mit der Studienmotivation und Vorbereitung von internationalen Studierenden beschäftigen, eine neue Basis für die weitere Forschung bieten.
Was sind die wichtigsten Befunde bzw. Ergebnisse Ihres Projektes aus Forschungsperspektive?
Wir konnten vier verschiedene Gruppen unter den internationalen Studieninteressierten identifizieren, die sich hinsichtlich ihrer Motive für das Studium in Deutschland unterscheiden: Studiengangsfokussierte, finanziell Orientierte, finanziell Unabhängige und vielseitig Interessierte. Die im Beitrag näher beschriebenen Gruppen zeigen die Heterogenität der untersuchten Zielgruppe auf. Dass sich nicht alle Studieninteressierten aus den gleichen Gründen für ein Studium in Deutschland entscheiden, kann man hieran anschaulich erkennen.
Zudem zeigen unsere Daten, dass Studiengangsfokussierte signifikant häufiger Online-Lernangebote zur Studienvorbereitung nutzen als finanziell Unabhängige und vielseitig Interessierte. Dieser Befund ist gut nachvollziehbar, da sich die Gruppe der Studiengangsfokussierten sowohl durch ein hohes Interesse an Fachinhalten als auch durch hochschul- und karrierebezogene Motive auszeichnet.
Zusätzlich konnten wir auch feststellen, dass eine Entscheidung für ein Studium in Deutschland, die aufgrund der Gebührenfreiheit erfolgt ist oder der ein persönlicher Bezug zum Studienort zugrunde liegt, mit der Nutzungshäufigkeit von Online-Angeboten korreliert. Studieninteressierte, für die Gebührenfreiheit oder Besonderheiten des Hochschulortes besonders wichtig sind, nutzen nach unseren Daten die Online-Lernangebote besonders intensiv.
Schließlich zeigt das Projekt, dass die verschiedenen Gruppen von Studienmotiven die Nutzung von Online-Lernangeboten zur Studienvorbereitung vorhersagen und in Verbindung mit anderen Erklärungsansätzen viel Potential für weitere Forschung bieten. Aufgrund der hohen theoretischen und praktischen Relevanz des Themas schließt sich hier meine Promotionsarbeit an der Technischen Universität Berlin an.
Das klingt spannend, könnten Sie das noch etwas genauer ausführen? Mit welchen Forschungsfragen werden Sie sich in diesem Promotionsprojekt befassen? Und auf welche Datenbasis werden Sie sich dabei stützen?
Im Fokus des Promotionsprojektes stehen diverse Motive der Bildungsmigration, die zusätzlich innerhalb der verschiedenen Stufen der akademischen Lernbiografie internationaler Studierender, dem sogenannten Student Life Cycle, analysiert werden. Die Forschungsgrundlage dafür bilden bereits durchgeführte Interviews sowie geplante Online-Befragungen von internationalen Studieninteressierten, Studierenden, Promovierenden und Alumni hinsichtlich ihrer Entscheidung für ein Studium in Deutschland. Dabei sollen die kombinierten Forschungsmethoden einen tieferen Einblick in die studienbezogene Migrationsmotivation ermöglichen: Neben den zweckrationalen Gründen wird der Akzent besonders auf soziale und biografische Hintergründe gelegt.
Außerdem werden die herausgearbeiteten Motivationsprofile der Befragten in Verbindung mit anderen theoretisch und empirisch fundierten Konstrukten gebracht. Die Ergebnisse werden somit ein verbessertes theoretisches und empirisches Verständnis für Motive der Bildungsmigration entlang des Student Life Cycle ermöglichen und nicht nur eine Forschungslücke schließen, sondern auch praktisch relevante Informationen bieten.
Zur Person
Dzmitry Turchyn hat Bildungswissenschaft studiert und promoviert aktuell an der Technischen Universität Berlin zum Thema “Student Life Cycle und Motive der Bildungsmigration”. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Studienmotivation, Bildungsmigration, Student Life Cycle, Biographieforschung.
Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.