ENIS – Ein europäisches Netzwerk für den Austausch zwischen Hochschulforschung und -praxis
Dr. Nicolai Netz ist Nachwuchsgruppenleiter am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Im Jahr 2021 hat er gemeinsam mit drei Forschenden aus Portugal, Schweden und den Niederlanden das EU-geförderte European Network on International Student Mobility (ENIS) ins Leben gerufen. Ein wichtiges Ziel des Netzwerks ist die Förderung des Austauschs zwischen Hochschulforschung und -praxis. Im Interview erläutert er, wie es zur Gründung des Netzwerks kam, wie die Zusammenarbeit im Netzwerk genau funktioniert und wie es in den nächsten Jahren mit dem Netzwerk weitergehen soll.
Herr Netz, wie kam es zur Gründung des ENIS-Netzwerks, gab es hierfür einen bestimmten Anlass?
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Forschung zur studienbezogenen Auslandsmobilität sehr dynamisch entwickelt. Verschiedene akademische Disziplinen haben dieses Forschungsfeld für sich erschlossen. In der Folge sind zahlreiche empirische Studien entstanden, die unser Verständnis der Ursachen, der Erfahrungen mit und die Auswirkungen von studienbezogener Auslandsmobilität verbessert haben. Auffällig ist jedoch, dass sich Forschende aus verschiedenen Disziplinen und Ländern in der Vergangenheit oft nur eingeschränkt gegenseitig wahrgenommen haben. Hierdurch wurden nachhaltige Fortschritte in der Forschung zur studienbezogenen Auslandsmobilität erschwert.
Ein weiteres Problem besteht in mangelnden Mechanismen zum Transfer von Forschungserkenntnissen in die Hochschulpolitik und -praxis. Gerade gemessen an der steigenden Anzahl von Studien in diesem Forschungsfeld wird deutlich, dass es bislang nur wenige Instrumente und Foren gibt, durch welche die Hochschulpolitik, Förderorganisationen wie der DAAD und die Hochschulangehörigen selbst vom mittlerweile reichhaltigen wissenschaftlichen Wissen profitieren können.
Diese Beobachtungen haben Thais França vom Instituto Universitário in Lissabon, Mette Ginnerskov-Dahlberg von der Universität Uppsala, Christof Van Mol von der Universität Tilburg und mich im November 2020 dazu veranlasst, einen Antrag auf die Förderung eines europäischen Netzwerks bei der European Cooperation in Science and Technology – kurz COST – einzureichen. Erfreulicherweise wurde der Antrag bewilligt, sodass wir ab Oktober 2021 mit dem Aufbau des European Network on International Student Mobility – kurz ENIS – beginnen konnten. Dass es eine Notwendigkeit für ein solches Netzwerk gegeben hat, zeigt schon die Zahl der Teilnehmenden: Etwa eineinhalb Jahre nach der Gründung des Netzwerks zählt es bereits 277 Mitglieder, und wir erhalten laufend weitere Bewerbungen.
Wie ist das Netzwerk aufgebaut? Welche Themen werden von wem bearbeitet und wie muss man sich die Zusammenarbeit im Netzwerk konkret vorstellen?
Das Herzstück des Netzwerks sind seine fünf Arbeitsgruppen. In vier dieser Arbeitsgruppen beschäftigen sich die ENIS-Mitglieder mit inhaltlichen Themen. Hierzu zählen erstens Muster internationaler Ströme von auslandsmobilen Studierenden, zweitens soziale Ungleichheiten beim Zugang zu und während studienbezogener Auslandsmobilität, drittens die soziale und kulturelle Integration von auslandsmobilen Studierenden in ihren Gastländern und viertens Einflüsse studienbezogener Auslandsmobilität auf die Karriere. Eine fünfte Arbeitsgruppe beschäftigt sich ausschließlich mit dem Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Hochschulpolitik und -praxis. Der Austausch der Arbeitsgruppen untereinander wird durch regelmäßige Berichte der sogenannten „stakeholder advisor“ an die jeweils anderen Arbeitsgruppen sichergestellt.
Die Leitungen der Arbeitsgruppen nehmen regelmäßig an Treffen der ENIS-Kerngruppe teil, zusammen mit der Netzwerkleitung, der Leitung des ENIS-Kommunikationsteams und den Verantwortlichen für die Organisation der Training Schools beziehungsweise die Vergabe von COST-Stipendien für Konferenzteilnahmen und Auslandsaufenthalte. Hier werden die strategischen Leitlinien und die operative Planung der Netzwerkarbeit diskutiert und festgelegt. Über alle wichtigen Entscheidungen, etwa hinsichtlich der Einrichtung oder Besetzung von Positionen oder des Einsatzes finanzieller Mittel, stimmt letztlich das ENIS-Managementkomitee ab, dem aktuell Vertreterinnen und Vertreter aus 39 Ländern angehören.
Wie die Arbeit im ENIS-Netzwerk konkret aussieht, hängt stark von der jeweiligen Position ab. Grundsätzlich hat jedes Mitglied die Möglichkeit, sich sowohl bei laufenden Initiativen als auch jederzeit sonst mit eigenen Ideen einzubringen.
Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Was soll mit dem Netzwerk bis zum Ende der EU-Förderung erreicht werden? Und soll das Netzwerk auch über die EU-Förderung hinaus bestehen bleiben?
Dieses Jahr finalisieren die Mitglieder der genannten Arbeitsgruppen vier systematische Reviews, die den Forschungsstand zum Einfluss der Corona-Pandemie auf verschiedene Aspekte der studienbezogenen Auslandsmobilität zusammenfassen. Weitere vier Reviews mit anderen Schwerpunkten sollen bis zum Ende der EU-Förderung entstehen. Außerdem publiziert jede Arbeitsgruppe jährlich einen Policy Brief, in dem basierend auf vorhandener Forschung Handlungsempfehlungen an Vertreterinnen und Vertreter aus Hochschulpolitik, Förderorganisationen und Hochschulen formuliert werden.
Zudem werden zahlreiche Webinare und Konferenzen stattfinden. Wichtig für den weiteren Ausbau des Netzwerks sind außerdem die ENIS Training Schools. Diese sollen zum einen der Schulung von Theoriewissen und Methodenkompetenzen dienen. Zum anderen sollen sie insbesondere Nachwuchsforschende dabei unterstützen, eigene Projektanträge im Bereich der studienbezogenen Auslandsmobilität zu entwickeln und eine Drittmittelförderung für diese einzuwerben.
Wir würden das Netzwerk gerne nach dem Auslaufen der COST-Förderung fortführen. Auch wenn die Förderung erst im Oktober 2025 ausläuft, haben wir bereits Überlegungen angestellt, wie wir das Netzwerk verstetigen können. Außerdem haben wir in den nächsten Monaten Treffen mit Kolleginnen und Kollegen anberaumt, die diesen Schritt in der Vergangenheit erfolgreich gegangen sind.
Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.