“Deutschland liegt erstmals auf Rang drei der wichtigsten Gastländer internationaler Studierender weltweit”
Welchen Stand hat die Auslandsmobilität von Studierenden und Forschenden weltweit erreicht? Wie hat sich die Zahl der internationalen Studierenden an deutschen Hochschulen in den letzten Jahren entwickelt? Wie attraktiv ist Deutschland für ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler? Diesen Fragen geht der DAAD in seiner jährlichen Publikation Wissenschaft weltoffen gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung nach. Anlässlich der Veröffentlichung der diesjährigen Hauptausgabe haben wir mit DAAD-Generalsekretär Dr. Kai Sicks über einige der wichtigsten Befunde der neuen Ausgabe gesprochen.
Herr Dr. Sicks, was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Befunde der neuen Ausgabe von „Wissenschaft weltoffen“?
Für mich ist die wichtigste und auch erfreulichste Erkenntnis unserer Analysen, dass wir nun mit Sicherheit sagen können: Die akademische Mobilität in Deutschland wurde von der Corona-Pandemie nur vergleichsweise wenig beeinträchtigt. Besonders deutlich lässt sich das an dem erneut starken Anstieg der Zahl der internationalen Studierenden in Deutschland zeigen: Im Vergleich zum Vorjahr können wir hier einen Zuwachs von rund 18.000 Studierenden oder fünf Prozent auf 367.600 Studierende im Wintersemester 2022/23 verzeichnen. Damit liegt Deutschland auch erstmals auf Rang drei der wichtigsten Gastländer internationaler Studierender weltweit, hinter den USA und dem Vereinigten Königreich und erstmals vor Australien. In Deutschland gab es während der gesamten Corona-Pandemie nie einen Rückgang der Zahl der internationalen Studierenden und Forschenden, im Gegenteil: Die Zahlen sind kontinuierlich weiter angestiegen. Das zeigt, wie groß die Motivation international mobiler Studierender und Forschender ist, auch unter teilweise widrigen Bedingungen nach Deutschland zu kommen. Und das ist natürlich sehr erfreulich, gerade in Zeiten eines steigenden Fachkräftebedarfs in Deutschland.
Thema Fachkräftebedarf: Die neue Ausgabe von „Wissenschaft weltoffen“ enthält auch zwei Schlaglicht-Analysen zum Verbleib internationaler Studierender in ihren jeweiligen Gastländern. Welches Fazit lässt sich aus deutscher Perspektive ziehen?
Auch hier zeigt sich wieder die hohe Attraktivität von Deutschland als Gastland, nicht nur während des Studiums, sondern auch danach. Die OECD hat im Rahmen ihres jährlichen International Migration Outlooks Ende letzten Jahres die Bleibequoten internationaler Studierender in mehreren Mitgliedsstaaten verglichen. Und bei diesem Vergleich fielen die Bleibequoten in zwei Ländern mit deutlichem Abstand höher aus als in allen anderen untersuchten Ländern: in Kanada und in Deutschland. In Kanada sind demnach zehn Jahre nach dem Studienbeginn noch 44 Prozent aller internationalen Studierenden noch im Land, in Deutschland sind es sogar 45 Prozent. Hinzu kommt: Fast zwei Drittel dieser Verbliebenen sind mittlerweile in Deutschland berufstätig oder haben sogar eine deutsche Staatsbürgerschaft erworben, ein weiteres Fünftel hat einen Aufenthaltstitel aus familiären Gründen. Das zeigt: Die überwiegende Mehrheit dieser ehemaligen Studierenden ist wirklich in Deutschland angekommen und mit hoher Wahrscheinlichkeit gut in der Gesellschaft integriert.
Ein weiteres Schlaglicht analysiert erstmals Daten zu den internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studienvorbereitungskurse an den Studienkollegs in Deutschland. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Rolle der Studienkollegs im Rahmen der Hochschulinternationalisierung in Deutschland?
Die Studienkollegs spielen weiterhin eine wichtige Rolle für die Hochschulinternationalisierung in Deutschland. Zwar gibt es mittlerweile auch alternative Formen der Studienvorbereitung, und die Zahl der staatlichen Studienkollegs war in den letzten Jahrzehnten rückläufig. Sie stellen aber immer noch das wichtigste Instrument zur Studienvorbereitung internationaler Studierender ohne direkte Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland dar. Aktuell befinden sich immer etwa 5.000 bis 6.000 internationale Studieninteressierte in den Vorbereitungskursen der Studienkollegs, die Mehrheit davon an staatlichen Studienkollegs. Allerdings zeigt die Bewerbungsstatistik, dass das Interesse an den dort angebotenen Vorbereitungskursen das Angebot deutlich übersteigt: Im Jahr 2022 haben insgesamt rund 12.400 Bewerberinnen und Bewerber an den Aufnahmeprüfungen der staatlichen Studienkollegs teilgenommen. Es gibt also eine Art Flaschenhals in Bezug auf die Studienvorbereitung und Hochschulzulassung internationaler Studierender aus Ländern, deren Schulabschlüsse keinen direkten Hochschulzugang in Deutschland ermöglichen.
Ein interessanter Befund unserer Auswertungen der Studienkolleg-Daten ist auch, dass häufig die öffentlichen Hochschulen an Standorten mit einem oder sogar mehreren Studienkollegs überdurchschnittliche Anteile von Studienkollegiatinnen und -kollegiaten aufweisen. An der Universität in Kiel liegt ihr Anteil unter den internationalen Studienanfängerinnen und -anfängern beispielsweise bei 36 Prozent, an der Universität in Frankfurt am Main sogar bei fast 50 Prozent. Das spricht dafür, dass viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studienkollegkurse ihr Studium in der Nähe des besuchten Studienkollegs aufnehmen. Studienkollegs sind somit für Hochschulen eine gute Möglichkeit, internationale Studierende für ein Bachelorstudium zu gewinnen.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus den neuen Daten zur Credit Mobility der Studierenden in Deutschland, die im Jahr 2021 vom DZHW im Rahmen der neuen „Studierendenbefragung in Deutschland“ erhoben wurden?
Ich freue mich, dass 19 Prozent aller einheimischen Studierenden den Weg ins Ausland gewählt haben. Trotzdem können wir als DAAD nicht ganz zufrieden sein. Denn im Jahr 2012 lag die entsprechende Quote laut DZHW noch bei 26 Prozent. Wir beobachten hier seit geraumer Zeit einen kontinuierlichen Rückgang. Um die Zahlen des DZHW richtig einordnen zu können, muss man jedoch auch berücksichtigen, dass die aktuelle Befragung mitten in der Corona-Pandemie stattfand. Man kann also davon ausgehen, dass die Zahlen ohne den Pandemieeffekt anders ausgesehen hätten. An der Erasmus+ Statistik lässt sich beispielsweise ablesen, dass die Zahl der Erasmus+ Aufenthalte durch die Pandemie und die damit verbundenen Mobilitätsbeschränkungen vorübergehend um etwa 50 Prozent gesunken ist.
Was man ebenfalls berücksichtigen sollte: Der Rückgang der Credit Mobility ist kein rein deutsches Phänomen. Die Befunde der EUROSTUDENT-Befragungen zeigen, dass in fast allen europäischen Ländern ein vergleichbarer Trend zu beobachten ist. Auch vor diesem Hintergrund haben wir uns im DAAD vorgenommen, die Gründe für den Rückgang der Credit Mobility gemeinsam mit dem DZHW wissenschaftlich näher zu untersuchen. Nur wenn wir genau wissen, wo die Gründe für diesen Rückgang liegen, können wir geeignete Maßnahmen entwickeln, um an einer Trendumkehr zu arbeiten.