“Internationale Studierende in Ländern wie Dänemark, Finnland und in den Niederlanden stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie Studierende in Deutschland”
Gemeinsam mit vier europäischen Partnern setzt die FH Münster bis Ende Februar 2025 das Erasmus+- Kooperationsprojekt “INTERLOCALITY“ um. Basierend auf einer Bedarfsanalyse, die auf zahlreichen Interviews mit Studierenden, Arbeitgebern und Hochschulangehörigen beruht, wurden neue Konzepte und Formate zur Unterstützung internationaler Studierender für eine Arbeitsaufnahme in Deutschland entwickelt, aber auch schon Bestehendes gebündelt. Konkrete Ergebnisse sind ein „International Alumni Monitoring Tool“ sowie ein „Employability Activities Catalogue“ für Hochschulen, die „International Talent Journey“ für Studierende und Online-Selbstlerntrainings für Arbeitgeber und weitere Interessierte. Das Projekt wurde zunächst aus EU-Mitteln finanziert und hat nun für die Weiterentwicklung des Konzeptes entlang des gesamten Student Life Cycle eine weitere, nationale Förderung durch die Campus-Initiative Internationale Fachkräfte des DAAD erhalten. Im Interview erläutern Projektmitwirkende, welche Erkenntnisse des Projektes auf den deutschen Arbeitsmarkt übertragen werden sollen und welche Ziele in den kommenden Jahren verfolgt werden.
Können Sie kurz den Anlass für das Projekt erläutern und die damit verfolgten Ziele darstellen? Welche Zielgruppen soll das Projekt ansprechen?
Schönfelder: Die Initiative ging von der dänischen Hochschule „University College of Northern Denmark“ aus und wurde über langjährige Kontakte zur FONTYS University of Applied Sciences aus den Niederlanden an uns herangetragen. Hinzu kamen noch die ARCADA University of Applied Sciences aus Finnland und SEND, eine Agentur für Beschäftigung und internationale Mobilität aus Sizilien. Bis auf SEND handelt es sich bei allen Partnern um Fachhochschulen mit ähnlichen regionalen Bedingungen und vergleichbarem Studienangebot, aber mit Unterschieden in der Zusammensetzung der internationalen Studierendenschaft. Für uns alle gilt, dass unsere internationalen Studierenden Schwierigkeiten haben, auf dem jeweiligen lokalen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Corona-Pandemie hatte das Problem damals noch verschärft – für viele Studierende war es fast unmöglich, einen Nebenjob, ein Praktikum oder eine qualifizierte Stelle zu finden. Der Name INTERLOCALITY entstand während der Antragstellung und verdeutlicht unser Hauptziel – die Beschäftigungschancen internationaler Studierender auf regionalen Arbeitsmärkten zu fördern.
Pantel: Wir haben uns zunächst angeschaut, was die größten Hindernisse beim Übergang ins Berufsleben sind und was das „Matching“ so schwierig macht. Hierzu wurde Literatur gesichtet und wir haben viele Interviews geführt. Dabei kam heraus, dass Studierende und Arbeitgeber teilweise große Erwartungen an die Hochschule als Schnittstelle hatten, und wir mussten uns eingestehen, dass wir die Erwartungen nicht immer erfüllen können und teilweise auch nicht wollen. Als große Hindernisse beim Übergang wurden vor allem fehlende Sprachkenntnisse genannt, bürokratische Hürden, nicht passende Erwartungshaltungen, mangelnde interkulturelle Sensibilität, unzureichende Instrumente zum Onboarding und zur Betreuung internationaler Studierender und vor allem fehlende Kontakte zu Arbeitgebern seitens der Studierenden. Basierend auf den Ergebnissen haben wir Instrumente entwickelt, um die Möglichkeiten aller drei Akteursgruppen zu stärken, also die internationalen Studierenden, aber auch die Arbeitgeber und jene Hochschulmitarbeitenden, die die betreffenden Studierenden begleiten. Entstanden ist unter anderem ein sogenanntes „International Alumni-Monitoring-Tool“ für Hochschulen, um Karrierewege von Studierenden verfolgen zu können. Darüber hinaus wurden für Arbeitgeber und Hochschulmitarbeitende drei Online-Selbstlerntrainings zu den Inhalten „Intercultural Sensitivity“, „Guidance and Counselling“ und „Employer-Ability“ konzipiert. Für Studierende haben wir die „International Talent Journey“, kurz ITJ, entworfen. Hiermit wurden vor allem internationale Masterstudierende in den englischsprachigen ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen angesprochen.
Hölscher: Mit dieser speziellen Zielgruppe im Blick haben wir uns die Ergebnisse der Interviews mit Studierenden, Hochschulmitarbeitenden und Arbeitgebern noch einmal angeschaut und daraus dann bedarfsorientierte Maßnahmen und Aktivitäten abgeleitet und mit der ITJ in einem Qualifizierungsprozess gebündelt, sodass sich die internationalen Studierenden entsprechend ihrer jeweils individuellen Bedarfe gezielt auf den jeweiligen Arbeitsmarkt vorbereiten können. Als besonders hilfreich wurden von ihnen all jene Angebote empfunden, die dazu beigetragen haben, mit Arbeitgebern unmittelbar in Kontakt zu kommen. So sind zum Beispiel die niedrigschwelligen Angebote „Meet & Match“, „Campus Tech Talk“ oder die Unternehmensexkursionen entstanden – Formate, bei denen Studierende auf regionale Arbeitgeber treffen. Ort, Zeit und Inhalte variieren jeweils. Diese Veranstaltungen führen wir auch zum Teil mit unseren regionalen Partnern wie z.B. der IHK oder Wirtschaftsverbänden durch. Bei „Meet & Match Internationals@ Münsterland“ können sich Studierende mit Unternehmensvertreter/innen aus verschiedenen Branchen in Kleingruppen zu Praktika, Abschlussarbeiten und Berufseinstiege austauschen. Beim „Campus Tech Talk“ liegt der Fokus auf einer Branche, wie z. B. der Windenergie. Kern der Veranstaltung ist eine Podiumsdiskussion mit Vertreter/innen mehrerer Unternehmen, bei der Studierende ihre Fragen einbringen können. Bei den Exkursionen besuchen kleinere Studierendengruppen dann einzelne Unternehmen vor Ort und lernen auf interaktive Weise deren Produkte, Karrierewege und Unternehmenskulturen kennen.
Warum ist es sinnvoll, sich europaweit über die regionale Arbeitsmarktintegration internationaler Studierender auszutauschen, zu vernetzen und zusammenzuarbeiten?
Schönfelder: Für uns war es sehr erstaunlich, dass internationale Studierende in Ländern wie Dänemark, Finnland und in den Niederlanden vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie Studierende in Deutschland, obwohl in diesen Ländern viel mehr Englisch gesprochen wird. Vor allem die Sprachkenntnisse wurde in allen fünf Ländern als größtes Hemmnis von beiden Seiten identifiziert. Ein Student brachte dies in einem Interview sehr gut auf den Punkt: „Most international students come with the expectation that they don’t have to learn the local language to study or work, that English is good enough. But it is not, if they don’t want to feel alienated“. Insgesamt gab es überraschend viele Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Bedarfe, Erwartungshaltungen und Schwierigkeiten bei allen Akteursgruppen. Wir konnten viel voneinander lernen und gemeinsame Instrumente entwickeln, die für alle Länder anwendbar sind. Besonders wichtig war in diesem Zusammenhang der Beitrag unseres italienischen Partners, denn als gemeinnützige Organisation arbeiten sie häufig mit benachteiligten Zielgruppen wie geflüchteten jungen Menschen und konnten nützliche Impulse für bedarfsorientierte Beratung geben. Leider wurden einige Partner während der Projektlaufzeit durch politische Entwicklungen und Einschränkungen auf nationaler Ebene gehindert, das Projekt so umzusetzen wie geplant. Beim dänischen Partner gab es beispielsweise einen starken Rückgang bei der Zahl internationaler Studierender. Hier sind wir sehr dankbar, dass wir in Deutschland durch die Campus-Initiative Internationale Fachkräfte des DAAD weiterhin große Unterstützung für die Zielgruppe und das Thema haben.
Das Projekt wurde zunächst aus EU-Mitteln finanziert und hat nun eine weitere Förderung durch die Campus-Initiative Internationale Fachkräfte erhalten. Werden die Erkenntnisse jetzt auf den deutschen Arbeitsmarkt übertragen und gibt es darüber hinausgehende Ziele?
Hölscher: Wir freuen uns, dass wir die Grundidee der International Talent Journey auf Basis der strategischen Partnerschaft mit dem DAAD-Programm „FIT – Förderung internationaler Talente zur Integration in Studium und Arbeitsmarkt“ weiterverfolgen und ausbauen können. Durch eine Evaluation haben wir wichtige Erkenntnisse gewonnen, wie wir unser Anliegen noch zielgruppengerechter realisieren und auf verschiedene Phasen des Studiums ausweiten können, um nicht nur die Beschäftigungsfähigkeit, sondern auch den Studienerfolg zu stärken. Durch die Präsenz des Projektes an der Hochschule werden auch die Kolleginnen und Kollegen immer mehr für die Belange der internationalen Studierenden sensibilisiert, ebenso die Arbeitgeber. Sehr gut funktioniert dabei die interne Zusammenarbeit der verschiedenen Einrichtungen an der FH Münster, wie des International Office, des Career Service, der Transferstelle TAFH Münster GmbH und auch der Fachbereiche. Darüber hinaus konnten wir bereits ein gutes Netzwerk mit regionalen Akteuren des Arbeitsmarkts aufbauen, die uns auch in Zukunft für Aktivitäten zur Seite stehen. Das ist unserer Meinung nach die große Stärke unseres Ansatzes für eine erfolgreiche und nachhaltige Zusammenarbeit in der Region.
Pantel: Wir alle sind uns einig: Alle internationalen Studierenden nehmen unglaublich viel auf sich und investieren eine Menge, um in Deutschland zu studieren. Gleichzeitig bringen sie viele wertvolle Erfahrungen und Kompetenzen mit, die für die Hochschulen einen wirklichen Gewinn darstellen können. Da ist es dann bedrückend, dass die Abbruchquoten nach wie vor überdurchschnittlich hoch ausfallen. Studienerfolg und Beschäftigungsfähigkeit sind so eng verzahnt, dass beides unbedingt zusammen gedacht werden muss. Genau diesen Ansatz verfolgt unser FIT-Projekt. Wenn sich Studierende willkommen und zugehörig fühlen, an der Hochschule ganz nach individuellem Bedarf begleitet werden, gerne in der Region ihrer Hochschule leben und sich dort ein Netzwerk aufgebaut haben, dann werden sie nach dem Abschluss auch in Deutschland bleiben – sie dabei in allen Schritten zu unterstützen, das ist uns ein großer Ansporn.
Zu den Personen
Sarah Schönfelder (M.A.) ist Referentin für Arbeitgeberkontakte und Internationales bei der TAFH Münster GmbH, der Projekt- und Innovationsentwicklungsgesellschaft der FH Münster. Sie studierte europäische Regionalwissenschaften mit deutsch-niederländischem Schwerpunkt und arbeitete nach dem Studium als Projektmanagerin in Den Haag und bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Kreises Steinfurt. Sarah Schönfelder koordiniert als Referentin für Arbeitgeberkontakte & Internationales viele EU- und INTERREG-Projekte, ist gut vernetzt mit wichtigen Akteuren in regionalen und internationalen Ökosystemen und initiiert viele Kontakte zwischen Arbeitgebern und Studierenden.
Nadine Pantel (Dipl.-Sozialpädagogin) hat als Mitarbeiterin des International Office der FH Münster viele Jahre internationale Studierende begleitet und Projekte koordiniert, vor allem das DAAD-STIBET-Programm als Stipendien- und Betreuungsprogramm für internationale Studierende. Sie ist interkulturelle Trainerin und Systemische Beraterin und Coach (DGfC). Mit der Förderung durch das FIT-Projekt wird sie den Career Service für internationale Studierende an der FH Münster aufbauen.
Anna Hölscher (M.A.) ist Koordinatorin des Career Service und bietet individuelle Beratung zu Berufsorientierung, Stellensuche sowie Bewerbung und Übergang in die Arbeitswelt an. Darüber hinaus organisiert sie fachübergreifende Weiterbildungen mit Fokus auf Employability und Schlüsselkompetenzen. Sie studierte Erziehungswissenschaften sowie Organisationskulturen und Wissenstransfer und ist Systemischer Business Coach. Vor dem Wechsel zur FH Münster arbeitete sie viele Jahre als Personalentwicklerin sowie Ausbildungsleitung auf Unternehmensseite.
Jessica Schüller ist beim DAAD als Referentin in der Campus-Initiative für internationale Fachkräfte tätig. Sie betreut das Forschungs- und Studienportfolio der Campus-Initiative und ist für den Politik- und Stakeholderdialog zuständig.