18. Februar 2025

„Junge Menschen wünschen sich trotz der Unsicherheit ein Studium und ein Leben in der Ukraine“

Anuja Desai ist Senior Soft Power Analyst beim British Council. Sie leitet die vom British Council in Auftrag gegebene Forschung im Bereich Soft Power in Bezug auf Entwicklung, Frieden und Sicherheit. Im Interview sprechen wir mit ihr über die Sorgen, Bedürfnisse und Hoffnungen junger Menschen in der Ukraine, die der British Council kürzlich im Rahmen einer Studie untersucht hat. Dabei klären wir, was der Anlass für die Studie war, was die wichtigsten Ergebnisse waren und welche praktischen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können. (Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.)

Anuja Desai ist Senior Soft Power Analyst beim British Council. (Bildquelle: privat)

Ende 2024 veröffentlichte der British Council die Studie „Understanding Ukrainian young people’s current concerns, needs and hopes: looking ahead to a future rebuilding of Ukraine“. Könnten Sie kurz erläutern, was der Anlass für diese Studie war und auf welchen Daten sie beruht?

Der British Council ist seit langem in der Ukraine präsent und arbeitet seit 1992 daran, positive Verbindungen, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zwischen den Menschen zu fördern. Seit der Vollinvasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022 hat sich unsere Arbeit beschleunigt. Unser Ziel bei dieser Untersuchung war es, Einblicke und Erkenntnisse über die sich entwickelnden Erfahrungen der ukrainischen Jugend zu gewinnen und sicherzustellen, dass ihre Stimmen auch in Zukunft im Mittelpunkt von Politik und Programmen stehen. Zu diesem Zweck beauftragte der British Council das Youth and Civic Engagement Hub von LSE Consulting, die Herausforderungen, Bedürfnisse und Hoffnungen junger Ukrainer inmitten des Krieges zu untersuchen.

Die Studie geht der Frage nach, wie junge Menschen im Alter von 14 bis 35 Jahren in der Ukraine den anhaltenden Konflikt erlebt haben. Die Studie stützt sich auf Daten aus sechs Fokusgruppendiskussionen, die in den Regionen Lviv, Kharkiv, Dnipropetrovs’k, Poltava und Vinnytsia durchgeführt wurden. Um unterschiedliche Perspektiven zu erfassen, wurden die Fokusgruppen in zwei Altersgruppen unterteilt: 14-19 Jahre und 20-35 Jahre. In jeder Gruppe waren auch Binnenvertriebene vertreten. Weitere zehn ausführliche Interviews wurden mit Vertretern gefährdeter Jugendgruppen geführt, darunter Menschen mit Behinderungen, Roma-Jugendliche, LGBTQ-Personen, Militärangehörige und Personen, die vorübergehend im Ausland unter Schutz stehen. Die Feldarbeit wurde zwischen Januar und März 2024 von InfoSapiens, einer ukrainischen Forschungsagentur, durchgeführt.

Um sicherzustellen, dass die Forschung wirklich die Perspektiven der ukrainischen Jugend widerspiegelt, arbeitete LSE Consulting mit einem Youth Sounding Board zusammen, das sich aus jungen Ukrainern zusammensetzt. Dieses Gremium spielte in der Phase der Datenanalyse eine aktive Rolle und trug dazu bei, die Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu validieren und sicherzustellen, dass die Stimme der Jugend während des gesamten Forschungsprozesses im Mittelpunkt stand.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse der Studie?

Es mag offensichtlich erscheinen, aber eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie ist, wie tiefgreifend der Krieg die jungen Menschen in der Ukraine getroffen hat. Auf einer Skala von 1 bis 10 bewerteten die meisten Befragten die Auswirkungen des Krieges mit Werten zwischen 8 und 10. Diejenigen, die sich in der Nähe der Frontlinien befinden, spüren die Belastung am stärksten, aber auch in ruhigeren Gebieten sind der Stress und die Ungewissheit des Konflikts stark zu spüren. Junge Menschen nennen häufig diese Unvorhersehbarkeit sowie ein geringeres Einkommen oder einen schlechteren Zugang zur Beschäftigung als große Herausforderungen. Für die jüngsten Befragten wird diese negative Auswirkung durch die Unterbrechung ihrer Ausbildung noch verstärkt, sei es durch die Einberufung von Lehrpersonal, die Erschöpfung durch den Raketenalarm oder den erzwungenen Schulwechsel.

Bei der Frage nach den aktuellen Bedürfnissen steht erwartungsgemäß die Sicherheit ganz oben auf der Liste, wobei damit sowohl das Gefühl der physischen Sicherheit als auch das Gefühl der Stabilität gemeint ist, das mit einem festen Arbeitsplatz und einer sicheren Unterkunft einhergeht. Für Binnenvertriebene ist der Zugang zu qualitativ hochwertigen Unterkünften angesichts der akuten Probleme bei der Beschaffung von erschwinglichem, stabilem Wohnraum nach wie vor entscheidend. Als größte Sorgen wurden die Sicherheit und Gesundheit der Angehörigen, die Unvorhersehbarkeit der Zukunft und die Gefahr einer weiteren russischen Besetzung genannt. Für die jüngsten Befragten sind auch die Auswirkungen des Krieges auf ihre Ausbildung und die weiteren Folgen für ihre Zukunft besorgniserregend.

Den meisten jungen Ukrainerinnen und Ukrainern fehlt es an langfristigen Plänen für die Zukunft, die sich in der Regel auf einen Monat im Voraus beschränken. Ihre Hoffnungen sind von der Dauer des Krieges und den Umständen seines Endes geprägt, was viele zu der Überzeugung führt, dass sie ohne den Konflikt ein aktiveres Leben führen würden. Trotz der Ungewissheit haben wir festgestellt, dass sich junge Menschen im Allgemeinen ein Studium und ein Leben in der Ukraine wünschen. Sie rechnen damit, dass der Krieg noch einige Jahre andauern wird, sind aber optimistisch, dass er mit einem Sieg der Ukraine und dem Beitritt zur Europäischen Union und zur NATO enden wird. Erfreulicherweise zeigte ein Teil der Teilnehmenden in jeder Fokusgruppe ein starkes Interesse daran, zum Wiederaufbau der Ukraine beizutragen, insbesondere über NRO oder politische Kanäle.

Was sind die wichtigsten Handlungsempfehlungen, die Sie aus diesen Erkenntnissen ableiten? Und welche Zielgruppen werden mit diesen Empfehlungen angesprochen?

Die Forschenden haben eine Reihe von sieben Empfehlungen entwickelt, die jeweils umsetzbare Schritte enthalten. Ich werde mich nur auf einige davon konzentrieren.

Ukrainische Jugendliche zeigen Interesse an staatsbürgerlichen Aktivitäten, haben aber oft das Gefühl, dass sie nicht die Möglichkeit haben, etwas zu verändern, und sehen sich mit Hindernissen wie begrenzten Ressourcen, Wissen und Finanzierung konfrontiert. Programme, die junge Menschen in den Planungs-, Umsetzungs- und Evaluierungsprozess einbeziehen und die Entwicklung von Fähigkeiten unterstützen, würden gut ankommen. Die zusätzlichen Herausforderungen, mit denen gefährdete Gruppen konfrontiert sind, sollten bei der Programmentwicklung berücksichtigt werden. Die Durchführung von Machbarkeitsstudien zur Eingliederung vor dem Start von Programmen kann dazu beitragen, Hindernisse für die Teilnahme zu ermitteln und zu beseitigen. In den Empfehlungen wird auch betont, wie wichtig es ist, Online-Aktivitäten durch persönliche Aktivitäten zu ergänzen oder zu ersetzen, um jungen Menschen inmitten des Zusammenbruchs sozialer Bindungen Möglichkeiten zur Sozialisierung zu bieten.

Eine Schlüsselempfehlung befasst sich mit dem Problem der emotionalen Erschöpfung, das unter jungen Menschen weit verbreitet ist. Die Bereitstellung von Modulen zur Traumabewältigung und der Zugang zu psychosozialer Unterstützung sollten in Jugendprogrammen zur Standardpraxis werden. Diese Erkenntnisse sind direkt in das kürzlich gestartete britisch-ukrainische Schulpartnerschaftsprogramm eingeflossen, das vom British Council und dem National Literacy Trust durchgeführt wird. Im Rahmen der Initiative erhalten die teilnehmenden Lehrenden Schulungen und Anleitungen zu traumainformierten Praktiken, um einen angemessenen Umgang mit den Schülerinnen und Schülern zu gewährleisten.

Die Empfehlungen richten sich nicht nur an den British Council, sondern auch an politische Entscheidungsträger, Geldgeber, Lehrende, Gemeindeleitungen und Basisorganisationen. Sie sollen die Zusammenarbeit fördern, um die unmittelbaren Bedürfnisse junger Menschen zu befriedigen und gleichzeitig eine langfristige Resilienz für die Erholung der Ukraine aufzubauen.

Quelle: Eric Lichtenscheid

Autor: Dr. Jan Kercher, DAAD

Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.

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