“Hohe Unsicherheit im Umgang mit digitalen Prüfungsformaten”
„Internationale Studierende an deutschen Hochschulen während der Corona-Pandemie“: Das Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) hat zu diesem Thema auf Basis von Befragungsdaten aus dem Sommersemester 2020 eine Auswertung in der Reihe „IHF kompakt“ veröffentlicht. Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen des mehrjährigen Forschungsprojekts „Studienerfolg und Studienabbruch bei Bildungsausländern in Deutschland im Bachelor- und Masterstudium“ (SeSaBa), das das IHF gemeinsam mit der FernUniversität in Hagen unter Leitung des DAAD durchführt. Dr. Susanne Falk, wissenschaftliche Referentin und Projektleiterin am IHF, fasst die Ergebnisse zusammen.
Frau Dr. Falk, Sie haben mit dem DAAD und der FernUniversität in Hagen seit dem Wintersemester 2017/2018 eine Kohorte von mehr als 4.000 internationalen Bachelor- und Masterstudierenden über sechs Semester begleitet und sie immer wieder zu ihren Erfahrungen während des Studiums in Deutschland befragt. Die sechste und letzte Befragungswelle fiel dabei in die frühe Zeit der Corona-Pandemie, ins Frühjahr 2020. Wie hat das SeSaBa-Team auf diese unerwartete Entwicklung bei der Befragung reagiert?
Es war sehr naheliegend, dass die Entwicklungen im Frühjahr 2020 gerade auch für internationale Studierende zu einer besonderen Situation führen würden: Sie können nicht auf familiale Netzwerke vor Ort in Deutschland zurückgreifen, die Wohnsituation in Wohngemeinschaften oder Studentenwohnheimen ist oftmals sehr beengt, und Kontaktbeschränkungen führen zu fehlenden Austauschmöglichkeiten an der Hochschule. Auf diese Situation hat das Projektteam sehr spontan reagiert und den sechsten und letzten Fragebogen der Onlinebefragung an die aktuelle Situation in der Corona-Pandemie angepasst. Zugute kam uns dabei insbesondere auch die Expertise der Kolleginnen und Kollegen vom DAAD, die mit der Situation und den Nöten von internationalen Studierenden sehr vertraut sind. Das Interessante an unserer Studie ist, dass wir die Pandemie als historische Zäsur auch gut in der Panelbefragung über einen Vorher-Nachher-Vergleich abbilden können: Wie hat sich die soziale Integration internationaler Studierender durch die Pandemie verändert? Haben Diskriminierungserfahrungen zugenommen? Welche Folgen hat die Pandemie für das psychologische Wohlbefinden der Studierenden? Und schließlich: Konnten Studienleistungen im Corona-Semester wie geplant erbracht werden? Einige dieser Fragen werden in den nächsten Monaten noch untersucht werden.
Sie haben nun eine erste Analyse der Befragungsdaten aus dem Sommersemester 2020 veröffentlicht. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse dieser Auswertung?
Die wichtigste Erkenntnis bisher ist, dass 44 Prozent der befragten internationalen Studierenden davon ausgehen, dass sich ihre ursprünglich geplante Studiendauer infolge der Pandemie verlängern wird. Zudem sehen wir bei über einem Viertel der Studierenden eine hohe Unsicherheit im Umgang mit digitalen Prüfungsformaten. Gleichzeitig beobachten wir aber auch, dass die Umstellung der Lehre auf digitale Formate im Sommersemester 2020 trotz des kurzen Vorlaufs vergleichsweise gut beurteilt wurde. Auch die Erreichbarkeit der Lehrenden wurde von über der Hälfte der Studierenden positiv beurteilt. Sorgen bereitet uns das Ergebnis, dass nur 20 Prozent der Befragten mit Mitstudierenden in intensivem Kontakt standen. Der Austausch in Lerngruppen und die gemeinsame Freizeitgestaltung sind wesentliche Elemente der sozialen Integration in die Hochschule, unter deren Fehlen viele Studierende während der Pandemie leiden. Gerade der virtuelle Kontakt zu Kommilitoninnen und Kommilitonen könnte hier ein relevanter Faktor sein, der einen Ausgleich zu den fachlichen Anforderungen im Studium bilden kann.
Ergeben sich aus diesen Erkenntnissen aus Ihrer Sicht auch Handlungsempfehlungen für die Hochschulen zur Unterstützung ihrer internationalen Studierenden während der Corona-Pandemie?
Es zeigt sich, dass die Motivation für digitale Lehrangebote nur bei einem Viertel der Befragten, das heißt bei internationalen Studierenden gegen Ende des Studiums, hoch ausfällt. Dies spricht − wie der mangelnde intensive Kontakt zu anderen Studierenden − einerseits dafür, während der Pandemie auch die sozialen Austauschmöglichkeiten für Studierende zu fördern: über virtuelle Lerngruppen, virtuelle Buddys oder Mentorinnen und Mentoren − also ältere, einheimische Studierende, die für fachliche und außerfachliche Belange zur Verfügung stehen − und über eine Intensivierung der virtuellen Beratungsangebote, welche bereits an vielen Hochschulen angeboten werden. Zum anderen müssen wir uns auch mit der Frage auseinandersetzen, wie Studierende noch stärker für digitale Lehrangebote motiviert werden können und welche – auch interaktiven – Formate hier besonders erfolgreich sind. Generell dürften asynchrone Lehrangebote insbesondere für internationale Studierende, die sich während der Pandemie in ihrem Heimatland aufgehalten haben, flexiblere Lernmöglichkeiten bieten als die synchrone Durchführung von Onlinevorlesungen. Gleichzeitig sind aber auch Fragen der Studienfinanzierung für internationale Studierende hoch relevant, damit sie das Studium in Deutschland wie geplant erfolgreich beenden können.
Dr. Susanne Falk hat Politikwissenschaft und Soziologie an den Universitäten Heidelberg und Hamburg studiert und an der Universität Bremen in Soziologie zum Thema „Geschlechtsspezifische Ungleichheit im Erwerbsverlauf“ promoviert. Sie ist wissenschaftliche Referentin und Projektleiterin am Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) in München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: wissenschaftlicher Nachwuchs, der Übergang von der Hochschule in den Arbeitsmarkt, Qualitätssicherung von Studium und Lehre sowie Studienerfolg und Studienabbruch.
Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.