Beeinflusst studienbezogene Auslandsmobilität das spätere Arbeitseinkommen?
Mit „DAAD Forschung kompakt“ bietet der DAAD eine Publikationsreihe, die aktuelle wissenschaftliche Befunde für die Hochschulpraxis auf einfach verständliche Art und Weise nutzbar machen soll. In der fünften Ausgabe hat Dr. Nicolai Netz vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zusammengefasst, welchen Einfluss studienbezogene Auslandsaufenthalte auf das spätere Einkommen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen haben.
Herr Dr. Netz, Sie haben sich in Ihrem Review mit der Wirkung von studienbezogenen Auslandsaufenthalten auf das spätere Einkommen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen beschäftigt. Welche Bedeutung hat das Thema aus Ihrer Sicht für die Hochschulforschung, aber auch für Hochschulpolitik und -praxis?
Zum einen stellt das Einkommen einen zentralen Indikator des Berufserfolgs dar. Und der Zusammenhang zwischen studienbezogener Auslandsmobilität und dem Berufserfolg ist seit längerer Zeit sowohl in der Forschung als auch in der Hochschulpolitik ein intensiv diskutiertes Thema. Zum anderen liegt zu diesem Thema mittlerweile eine nennenswerte Anzahl empirischer Studien vor. Bislang fehlten allerdings eine zusammenfassende Betrachtung und kritische Prüfung der vorhandenen Befunde. Vor diesem Hintergrund erschien uns die Erarbeitung eines Literaturreviews als sinnvoll. Für die deutschen Hochschulen und Förderorganisationen wie den DAAD sind die Ergebnisse des Literaturreviews unter anderem relevant, weil sie zeigen, dass studienbezogene Auslandsmobilität den beruflichen Verbleib – unter den richtigen Rahmenbedingungen – positiv beeinflussen kann. Dieser Kernbefund rechtfertigt die Investition öffentlicher Mittel zur Förderung der studienbezogenen Auslandsmobilität. Und er kann möglicherweise auch Kampagnen zu deren Förderung stützen.
Welche Befunde und Wirkmechanismen in Bezug auf die Einkommenseffekte der studentischen Auslandsmobilität sind laut Ihrem Review denn am besten belegt?
Die von uns ausgewerteten Studien zeigen, dass studienbezogene Auslandserfahrung in vielen Beschäftigungskontexten und Ländern einen leicht positiven Einfluss auf das Arbeitseinkommen hat. Zu diesem Ergebnis kommen auch diejenigen Studien, die wir aus methodischer Sicht als besonders belastbar einschätzen. Neben der Bestimmung der Höhe des Einkommenseffekts studienbezogener Auslandsmobilität haben wir in unserem Review auch untersucht, inwiefern dieser Effekt nach Absolventengruppen, Beschäftigungskontexten und Arten von Auslandsaufenthalten variiert. Zudem haben wir nach Erklärungen für diesen Einkommenseffekt gesucht. Hinsichtlich der Variation des Einkommenseffekts ist beispielsweise der Befund gut belegt, dass studienbezogene Auslandserfahrung sich vor allem im privaten Beschäftigungssektor auszahlt – und hier ganz besonders in multinationalen Unternehmen. Zusammengenommen zeigen die vorhandenen Studien auch, dass positive Einkommenseffekte studienbezogener Auslandsmobilität zumeist erst einige Jahre nach dem Hochschulabschluss und nur selten schon beim Berufseinstieg zu beobachten sind. Erklären lassen sich die beobachteten Einkommenseffekte studienbezogener Auslandsmobilität vor allem dadurch, dass auslandserfahrene Absolventinnen und Absolventen häufiger für sich gewinnbringend den Arbeitgeber wechseln, besseren Zugang zu gut zahlenden großen und multinationalen Arbeitgebern haben und eher in Ländern mit hohem Lohnniveau Arbeitserfahrung sammeln.
Und wo sehen Sie noch den größten Forschungsbedarf in Bezug auf den von Ihnen untersuchten Forschungsbereich, das heißt, wo ist die Befundlage bisher eher unklar?
Zunächst könnten die Erklärungen für die beobachteten Einkommenseffekte studienbezogener Auslandsmobilität besser erforscht werden. Im Einklang mit den bildungspolitischen Hoffnungen zeigen vorhandene Studien etwa, dass studienbezogene Auslandsmobilität Sprachkenntnisse sowie andere interkulturelle Kompetenzen verbessern kann. Auch auf die Persönlichkeitsentwicklung können Auslandsaufenthalte einen positiven Einfluss haben. Noch unklar ist allerdings, inwiefern solche Veränderungen der Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale auch mögliche Einkommenseffekte studienbezogener Auslandsmobilität erklären können. Des Weiteren gilt es, die Variation des Einkommenseffekts studienbezogener Auslandsmobilität genauer zu untersuchen. Aus bildungspolitischer Sicht sind Analysen hochrelevant, die nach Arten beziehungsweise Merkmalen von Auslandsaufenthalten differenzieren, weil solche Analysen unmittelbare Implikationen für die Förderung von studienbezogener Auslandsmobilität haben. Zum Beispiel: Haben Praktika im Vergleich zu Studienphasen oder kürzere im Vergleich zu längeren Auslandsaufenthalten positivere Effekte? Welchen Unterschied macht das Gastland? Und welche Rolle spielt der Grad der Organisation durch eine Förderorganisation für mögliche Kompetenz- und spätere Einkommenseffekte? Aus Sicht der Ungleichheitsforschung wären auch weitere Analysen zur Frage wichtig, ob der Einkommenseffekt studienbezogener Auslandsmobilität nach soziodemografischen Merkmalen variiert – wie dem Geschlecht, sozialen Hintergrund oder Migrationshintergrund. Solche Analysen könnten zeigen, ob die Förderung studienbezogener Auslandsmobilität zur Vergrößerung oder gar zur Verringerung von sozialen Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft führt.
Sorgt die Coronapandemie aus Ihrer Sicht auch noch einmal für neuen Forschungsbedarf?
Auf jeden Fall. Viele Studierende mussten ihre Pläne für Auslandsaufenthalte infolge der Pandemie verwerfen. Haben diese Studierenden nun weniger Kompetenzen entwickelt, die sie zukünftig in globalisierten Arbeitsmärkten benötigen werden? Und werden sie deshalb weniger verdienen als frühere Generationen von international erfahreneren Studierenden? Oder konnten sie die erforderlichen Erfahrungen und Kompetenzen auf digitalen Wegen sammeln, welche die Coronapandemie hervorgebracht beziehungsweise populärer gemacht hat? Hat sich möglicherweise auch die Nachfrage von Arbeitgebern nach bestimmten Kompetenzen verändert? Und könnten die skizzierten Entwicklungen dazu beigetragen haben, dass physische Auslandsaufenthalte mittlerweile einfacher durch virtuelle internationale beziehungsweise interkulturelle Erfahrungen ersetzbar sind? Aus methodischer Sicht wird es nicht einfach sein, diese Fragen in den kommenden Jahren zu beantworten – aber aus gesellschaftlicher Sicht umso wichtiger.
Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.