“Die Signale zum Zustrom internationaler Studierender in die USA stehen eindeutig wieder auf Wachstum”
Das Institute of International Education (IIE), die Partnerorganisation des DAAD in den USA, hat heute die neue Ausgabe seiner jährlichen Publikation “Open Doors” veröffentlicht, in der – ähnlich wie in Wissenschaft weltoffen für Deutschland – die neuesten Daten zur Studierenden- und Wissenschaftlermobilität in den USA veröffentlicht werden. Dies haben wir zum Anlass genommen, den Außenstellenleiter des DAAD in New York, Benedikt Brisch, zu seinen Einschätzungen bezüglich der Entwicklung der Studierendenmobilität in den USA zu befragen – auch vor dem Hintergrund der soeben durchgeführten Midterm Elections dort.
Die Zahl der internationalen Studierenden in den USA ist nach dem pandemiebedingten Einbruch im Studienjahr 2020/21 nun wieder um vier Prozent gestiegen, liegt mit 950.000 Studierenden allerdings immer noch deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau von etwa 1,1 Mio. Studierenden. Wie bewerten Sie diese Entwicklung? Rechnen Sie nun mit einer schnellen Erholung der Zahlen in den nächsten Jahren, ähnlich wie wir das derzeit für Deutschland erwarten?
Ja, die Signale zum Zustrom internationaler Studierender in die USA stehen nun eindeutig wieder auf Wachstum, das zeigen die neuesten Zahlen von Open Doors. Dieses Wachstum ist derzeit noch deutlich geringer als beispielsweise in Deutschland, jedoch muss bedacht werden, dass die Studierenden in den USA in der Regel hohe Studiengebühren mitbringen müssen, das bremst den Zustrom natürlich etwas ab. Für eine Fortsetzung des Wachstums spricht, dass die Zahl der Ersteinschreibungen internationaler Studierender in den USA zum Studienjahr 2021-2022 um 80% gestiegen ist, und damit deutlich stärker ausschlägt als der Rückgang im vorhergehenden Pandemiejahr mit minus 46 Prozent.
Ein interessantes Phänomen ist, dass die Zahl der internationalen Master-Studierenden in den USA erstmalig seit 2010 die Zahl der Undergraduate-Studierenden übersteigt. Zum einen machen amerikanische Hochschulen weltweit massiv Werbung für ein Masterstudium gegen Gebühren. Zum anderen muss bedacht werden, dass die USA auch aus demographischen Gründen unter einem Mangel an hochqualifizierten Fachkräften und Nachwuchsforschenden leiden, insbesondere in den MINT-Fächern. Die beiden größten Herkunftsgruppen internationaler Studierender in den USA studieren zu einem erheblichen Teil MINT-Fächer: chinesische Studierende zu 40 Prozent, indische Studierende zu 66 Prozent. Damit haben diese Studierenden häufig gute Karrierechancen in Industrie und Forschung in den USA, und leistungsstarke MINT-Studierende können nicht selten Stipendien für das Master-Studium erhalten oder zum Beispiel einen Job an der Universität oder in einem Unternehmen mit einem Masterstudium kombinieren.
Auch schon vor Corona war ja eine rückläufige Entwicklung der Zahl der internationalen Studierenden in den USA zu beobachten. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Gründe hierfür?
Die absolute Zahl der internationalen Studierenden in den USA ist seit 2006 zwölf Jahre lang bis 2018 gewachsen, insgesamt um rund 88 Prozent. Seit 2014 war zwar nicht die absolute Zahl, aber die Wachstumsquote der internationalen Studierenden rückläufig. 2019 kam es dann erstmalig zu einem leichten Rückgang der Gesamtzahl. Der Rückgang des Wachstums ist sicher zu einem erheblichen Teil den weiter steigenden Studiengebühren an US-Hochschulen geschuldet, die ja auch für amerikanische Studierende und ihre Eltern eine hohe Belastung darstellen, weshalb sie zu einem wichtigen politischen Thema in den USA geworden sind. Hinzu kamen dann weltweit viele Nachrichten über gesellschaftliche Probleme wie Gewalt und Spaltung der Gesellschaft in den USA, auch das wird die Stimmung und die Zahlen gedrückt haben. Schließlich haben dann die schwierige Lage der USA in der Pandemie und die zeitweise drastischen Reisebeschränkungen zu dem deutlichen Rückgang von minus 15 Prozent internationaler Studierender im Jahr 2020 geführt. Dies ist aber ein Rückgang auf hohem Niveau; die USA sind weiterhin das mit Abstand wichtigste Gastland international mobiler Studierender.
Blicken wir noch einmal etwas genauer auf die Entwicklung der Zahl der deutschen Studierenden in den USA: Hier zeigt sich ein erfreulich deutlicher Anstieg um knapp 60 Prozent, von rund 5.400 auf rund 8.600 Studierende. Damit ist das Vor-Corona-Niveau von etwas über 9.000 Studierenden fast schon wieder erreicht. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass die deutschen Studierenden nach Corona so viel schneller zurückkehren als die Studierenden aus den meisten anderen Herkunftsländern?
Deutschland hatte im Vorjahr mit minus 42 Prozent auch den größten pandemiebedingten Einbruch der Studierendenmobilität Richtung USA, daher verwundert mich nicht, dass wir hierbei auch den größten Aufwuchs in Richtung des Niveaus vor der Pandemie haben. Die Höhe des Wachstums ist mit fast 60 Prozent allerdings in der Tat verblüffend. Auch die anderen großen europäischen Herkunftsländer Vereinigtes Königreich, Spanien, Frankreich und Italien haben sehr deutlich wieder zugelegt, aber Spanien liegt mit 41 Prozent Wachstum noch immer deutlich hinter Deutschland. Ich erkläre mir den besonders starken Anstieg deutscher Studierender in den USA damit, dass vielen deutschen Studierende in der Zeit, als ihre Mobilität eingeschränkt war, der Wert des Auslandsstudiums besonders bewusst geworden ist. Und die USA sind für deutsche Studierende weiterhin ein attraktives Zielland, weil ein Studium an einer US-Hochschule den Erwerb vieler Kompetenzen ermöglicht, die für den weiteren Werdegang in Deutschland von Vorteil sind, und es darüber hinaus auch potentielle Karriereoptionen in den USA eröffnet.
Aus aktuellem Anlass erlauben wir uns ausnahmsweise eine vierte Frage: Denken Sie, dass die Ergebnisse der Midterm Elections in der letzten Woche eine Auswirkung auf die Hochschulpolitik in den USA haben werden? Und falls ja, inwiefern?
Das Ergebnis dieser Midterm-Wahlen ist ja, dass die weit verbreitete Erwartung eines großen Wählerzustroms zur Opposition und damit einer Abkehr von der amtierenden Regierung nicht eingetreten ist. Und die Wahlanalysen zeigen, dass junge Wählerinnen und Wähler ganz entscheidend zu diesem Ergebnis beigetragen haben. Daher gehe ich davon aus, dass durch das Wahlergebnis die für diese junge Wählergruppe wichtigen Themen an Bedeutung für die Politik zunehmen werden. Zu diesen Themen gehören das Ziel eines bezahlbaren Studiums, ein fairer Hochschulzugang und die Zukunft der Diversität an den amerikanischen Hochschulen.
Zur Person
Benedikt Brisch leitet seit 2019 die DAAD-Außenstelle in New York. Er führt mit seinem Team Stipendienauswahlen durch, unterstützt Hochschulpartnerschaften und beobachtet die transatlantische akademische Mobilität. Die Außenstelle hält Kontakt zu DAAD-Alumni in ganz Nordamerika, betreut deutsche Stipendiaten in den USA und macht Werbung für den Studien- und Forschungsstandort Deutschland.
Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.