Wie hängen Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit zusammen?
Dr. Janika Spannagel von der Freien Universität Berlin hat vor Kurzem gemeinsam mit zwei anderen Forschenden ein Buch mit dem Titel „University Autonomy Decline: Causes, Responses, and Implications for Academic Freedom“ veröffentlicht. Das Buch enthält Fallstudien zur Wissenschaftsfreiheit in verschiedenen Ländern und untersucht vergleichend die Umstände und Auswirkungen der Abnahme von Hochschulautonomie. Zuvor war Janika Spannagel auch an der Entwicklung des Academic Freedom Index (AFI) beteiligt, mit dem mittlerweile jährlich die Wissenschaftsfreiheit weltweit ermittelt und verglichen wird. Im Interview mit uns erläutert Janika Spannagel, was der Anlass für diese umfassende Analyse zur Hochschulautonomie war, welche generellen Muster sich hierbei zeigen und wie vor diesem Hintergrund ihre Einschätzung zur aktuellen Entwicklung in den USA ausfällt.
Frau Spannagel, Sie haben vor Kurzem gemeinsam mit Kirsten Roberts Lyer und Ilyas Saliba ein Buch zur Abnahme der Hochschulautonomie in verschiedenen Ländern veröffentlicht. Was war der Anlass für diese Analyse?
Wir haben uns in dem Buch mit Hochschulautonomie beschäftigt, weil das Thema in unseren Augen in der Literatur bislang zu kurz gekommen ist. Es gibt zwar Studien, die sich mit der Frage auseinandersetzen, wie Hochschulautonomie sich konzeptionell oder juristisch zur Wissenschaftsfreiheit verhält, aber aus empirisch-vergleichender Sicht wurde diese Frage noch nicht umfassender untersucht. Entsprechend haben wir Fallstudien sowie die Daten des Academic Freedom Index bzw. AFI genutzt, um uns empirisch anzuschauen, welche Mechanismen dem Rückgang von Hochschulautonomie zugrundeliegen und wie sich das auf andere Bereiche der Wissenschaftsfreiheit auswirkt. Dafür haben wir uns fünf Länderbeispiele ausgesucht, in denen die Hochschulautonomie laut dem AFI in den letzten Jahren stark abgenommen hat. Die fünf Studien zu Bangladesch, Indien, Mosambik, Polen und der Türkei in unserem Buch wurden von Länderexpertinnen und -experten verfasst – und sie ergänzen damit auch die Länderstudien zur Wissenschaftsfreiheit in Irland, Brasilien, Ägypten und Indien, die in einem früheren Buch veröffentlicht wurden und auf die wir teils ebenfalls zurückgegriffen haben.
Welche Zusammenhänge zwischen allgemeiner politischer Entwicklung, Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit konnten Sie bei Ihrer Analyse nachweisen? Und gibt es hierbei auch wesentliche Unterschiede zwischen den von Ihnen analysierten Ländern?
Die Vorgänge in den betrachteten Ländern sind tatsächlich relativ divers, sowohl, was die konkreten Formen, als auch die Abläufe beim Rückgang von Hochschulautonomie angeht. Dennoch konnten wir einige Regelmäßigkeiten feststellen, die zumindest auf die untersuchten Länder zutreffen:
Erstens ist allen gemein, dass eine starke Abnahme in der Hochschulautonomie mit einem generellen Rückgang der Demokratie einhergeht. Das sehen wir übrigens auch global in den AFI-Daten. Wir beobachten zudem, dass es häufig einen Zusammenhang mit politischer Polarisierung gibt: Diese führt oft zu einer Politisierung und Delegitimierung der Wissenschaft im öffentlichen Diskurs, was sie vulnerabler für breit angelegte Angriffe macht.
Zweitens sehen wir, dass die Unabhängigkeit von Hochschulen vor allem im Bereich Governance angegriffen wird, also entweder, indem die Regierung die Besetzung von Führungspositionen beeinflusst oder inneruniversitäre Entscheidungsprozesse durch Zentralisierungsmaßnahmen an sich zieht. Gerade das Einsetzen von regierungsnahen Entscheidungsträgern in den Universitäten ist besonders perfide, weil diese sich dann von selbst regierungskonform verhalten, ohne dass es zwangsläufig weiterer offensichtlicher Eingriffe durch die Regierung bedarf.
Drittens bestätigen die Studien, dass es eine Vielzahl von Verbindungen zwischen reduzierter Hochschulautonomie und eingeschränkter Wissenschaftsfreiheit gibt. Allerdings scheint es keine einheitliche Reihenfolge oder Strategie zu geben, die von den Regierungen angewandt werden, um die Wissenschaft unter ihre Kontrolle zu bringen. Häufig werden einzelne Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler zuerst unter Druck gesetzt, bevor die Hochschulen allgemein an Autonomie verlieren, aber in manchen Ländern trifft auch der umgekehrte Fall zu.
Die USA zählen nicht zu den von Ihnen analysierten Ländern. Aus aktuellem Anlass aber trotzdem die Frage an Sie als Expertin: Wie bewerten Sie die aktuelle Entwicklung der Hochschulautonomie dort, insbesondere in den republikanisch regierten Bundesstaaten? Sehen Sie hier Parallelen zu den Fallstudien in Ihrem Buch?
Parallelen gibt es durchaus, aber auch wesentliche Unterschiede. In den USA beobachten wir aktuell, wie eine Reihe von Bundesstaaten versucht, direkt in die Lehrinhalte an Hochschulen einzugreifen, um unter anderem gegen die sogenannte “critical race theory“ ein bestimmtes Verständnis von Geschichte und Gesellschaft durchzusetzen oder bisweilen auch Gender Studies als Fach abzuschaffen. Diese Vorgänge sind sehr besorgniserregend und können auch im Zusammenhang mit Autokratisierungstendenzen gesehen werden. Die Regierung in Florida hat in einem Begründungsschreiben vor Gericht auch ganz konkret behauptet, dass die Autonomie von Hochschulen gegenüber der Justiz, nicht aber gegenüber dem Staat gelte und dieser entsprechend das Recht habe, die Unterrichtsinhalte zu lenken. Das Gericht hat dies jedoch entschieden zurückgewiesen und das umstrittene “Anti-WOKE Gesetz“ in Bezug auf Hochschulen blockiert. Es gibt also durchaus noch demokratische Kontrollmechanismen, die diesen Angriffen Einhalt gebieten, weshalb ich den Rückgang der Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie in den USA im Gegensatz zu den von uns betrachteten Ländern bislang auch nicht als eine “starke Abnahme“ bewerten würde.
Zur Person
Janika Spannagel ist Postdoktorandin an der Freien Universität Berlin, wo sie ihm Rahmen des Exzellenzclusters “Contestations of the Liberal Script (SCRIPTS)” zur Verbreitung und Anfechtung von Normen der Wissenschaftsfreiheit forscht. Sie hat zudem den Academic Freedom Index mitentwickelt und ist Non-Resident Fellow am Global Public Policy Institute. In ihrer Doktorarbeit an der Universität Freiburg hat sie sich mit dem internationalen Schutz von Menschenrechtsverteidigern in autokratischen Regimen befasst.
Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.