Aktuelle Befragung des Erasmus Student Network ermittelt steigende Gesamtzufriedenheit mit Erasmus+
Im Dezember 2022 hat das Erasmus Student Network (ESN) die 14. Ausgabe des „ESNsurvey“ veröffentlicht. Laut ESN handelt es sich dabei um „Europe’s largest student-led research project in the field of Erasmus+ mobilities and international student exchange“. Marina Steinmann, Expertin für EU-Hochschulzusammenarbeit beim DAAD, hat für unseren Blog einen Blick auf zentrale Befunde der aktuellen Umfrage geworfen.
Die bisherigen ESN-Umfragen fanden 2005 bis 2019 jährlich statt. Die aktuelle Umfrage wurde im Januar 2021 durchgeführt und berücksichtigt Auslandsaufenthalte in den Hochschuljahren 2018/2019 und 2019/2020 sowie im ersten Semester des Hochschuljahres 2020/2021. 4.281 Befragte waren vor und 6.410 während der Corona-Pandemie studienbezogen im Ausland. Ausgewertet wurden die Antworten von insgesamt 10.691 Personen, die mit Erasmus+ (96,5%) oder vergleichbaren Programmen (3,5%) im Ausland waren. Insgesamt 89 Prozent der Befragten hatten sich an einer ausländischen Hochschule eingeschrieben, elf Prozent hielten sich zum Praktikum im Ausland auf.
Der Bericht zeigt im Vergleich mit den vorherigen Erhebungen eine steigende Gesamtzufriedenheit der Studierenden seit Beginn des Programms Erasmus+, für Praktika gilt dies allerdings in geringerem Maß als für Studienaufenthalte. Auch führen Aufenthalte in Partnerländern zu einer höheren Zufriedenheit als in Programmländern. Weiterhin wird sichtbar, dass die Studierenden im Vergleich zu vorangegangenen Erhebungen international aufgeschlossener und stärker an Nachhaltigkeit interessiert sind. Demgegenüber erweisen sich vor allem die Finanzierung der Aufenthalte, die Anerkennung von erbrachten Leistungen und der Austausch mit Einheimischen aus Sicht von relativ vielen Befragten nicht als optimal.
Mobilitätserfahrung
Die meisten Teilnehmer kamen von spanischen (18%), deutschen (13%) und italienischen (13%) Hochschulen, bei etwa drei Viertel aller Befragten dauerte der Aufenthalt zwischen drei und sechs Monaten. Der Anteil der Studierenden, die mit der sozialen Integration unzufrieden oder sehr unzufrieden waren, hat sich naturgemäß während der Pandemie verschlechtert, jedoch nicht so dramatisch, wie man es hätte erwarten können (er betrug bei den Studierenden vorher acht Prozent, und in Pandemiezeiten 15 Prozent, bei den Praktikantinnen und Praktikanten vorher zwölf Prozent, und in Pandemiezeiten 15%). Nicht oder überhaupt nicht in ihr lokales Umfeld integriert fühlten sich vor der Pandemie 14 Prozent der Befragten und in Pandemiezeiten 20 Prozent. Interessant ist auch die geringe Veränderung bezüglich der Nebenjobs: vor der Pandemie waren 5,5 Prozent der Studierenden so tätig, währenddessen 4,7 Prozent.
Unterstützung/Finanzierung
Die Mehrheit der Teilnehmer war mit der Unterstützung sowohl der Heimat- als auch der Gasthochschule (sehr) zufrieden. Die Zufriedenheit mit der Gasthochschule fällt etwas höher aus, was möglicherweise daran liegt, dass Fragen zur Anerkennung nur in Bezug auf die Heimathochschule gestellt wurden. Unzufriedenheit bestand vor allem bei den Möglichkeiten der Kurswahl sowie in Bezug auf die Anerkennung der erbrachten Leistungen. Rund 29 Prozent berichteten, dass ihre Leistungen nicht vollständig anerkannt wurden. Das bedeutet aber auch: Bei immerhin rund 71 Prozent der Befragten wurden alle Leistungen anerkannt.
Nach wie vor gab die Mehrheit der Studierenden an, dass sie mit den Mobilitätsstipendien kaum die Hälfte ihrer Ausgaben im Ausland decken konnte. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass im Rahmen von Erasmus + nur die auslandsbedingten Mehrkosten während des Aufenthalts abgedeckt werden sollen, jedoch keine Vollfinanzierung eines Semesters oder Studienjahrs geleistet werden kann. Insbesondere Studierende, die ihr Studium im Heimatland durch Erwerbstätigkeit finanzieren, hatten laut ESN-Survey Schwierigkeiten bei der Finanzierung ihres Auslandsaufenthalts. (Die für diese Zielgruppe inzwischen möglichen Zuschläge gab es zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht.) Besonders bemerkenswert ist, dass die Stipendien für Aufenthalte in Partnerländern, die nicht zu den europäischen Programmländern gehören, offenbar häufig die vollen Kosten decken.
Was bestimmte Finanzierungsmodalitäten betrifft, so berichtete ein Viertel der Befragten von verspäteten Stipendienzahlungen, dies betrifft vor allem Geförderte aus Frankreich, Spanien und Italien. Aber auch 43 Prozent der Geförderten aus Deutschland erhielten ihr Stipendium erst im Laufe des ersten Monats und 16 Prozent sogar erst später. Es ist davon auszugehen, dass sich solche Wartezeiten auf die Stipendienzahlung durch die jüngste Änderung der Stipendienvereinbarung deutlich reduzieren oder gänzlich erübrigen.
Einstellungsänderungen durch die Auslandsaufenthalte
Zu den bemerkenswerten Ergebnissen von Auslandsaufenthalten gehört, dass die Bereitschaft gestiegen ist, sich für andere Studierende zu engagieren. Mehr als die Hälfte der Befragten ist bereit, sowohl internationale Studierende an der Heimathochschule als auch die Auslandsmobilität ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen zu unterstützen. Vor dem Auslandsaufenthalt traf dies nur auf 15 bis 20 Prozent zu. Leider zeigt die Befragung auch, dass sich die Heimathochschulen bisher kaum für dieses Unterstützungs-Potential interessieren.
Wie schon vorausgegangene Untersuchungen belegt auch diese ESN-Studie das gesteigerte Interesse der auslandserfahrenen Studierenden an weiteren Auslandsaufenthalten. 70 Prozent der Befragten strebten nochmals Auslandsphasen während ihres Studiums an oder wollten künftig im Ausland leben und arbeiten. Weniger als 10 Prozent lehnten das für sich völlig ab.
Auswirkungen der Pandemie
6.383 Studierende, die im Jahr 2020 im Ausland waren, wurden auch zu ihren Erfahrungen in der Krisenzeit befragt. Fast 36 Prozent konnten ihren Auslandsaufenthalt physisch durchführen, 52 Prozent berichteten über Blended Mobility. Von einer Verschiebung oder völligen Absage waren lediglich 3 Prozent der Befragten betroffen.
Damit hat sich vom Wintersemester 2019/20 zum Wintersemester 2020/21 der Anteil physischer Mobilität mehr als halbiert. Vor der Corona-Pandemie betrug der Anteil virtueller und Blended Mobility rund 20 Prozent, Ende 2020 machte er rund zwei Drittel aller Aufenthalte aus.
Rund neun Prozent der Befragten haben ihr Auslandsstudium vollständig virtuell durchgeführt. Ihre unter den Pandemie-Bedingungen gemachten Erfahrungen bewerteten sie dabei eher positiv, lediglich die sozialen Kontakte erhielten verständlicherweise eine weniger gute Bewertung.
Marina Steinmann ist Expertin für EU-Hochschulzusammenarbeit in der Nationalen Agentur beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und u.a. für die Koordination von Forschungsprojekten in diesem Bereich zuständig. Ihre Berufserfahrung umfasst mehrere Jahre als Leiterin von Referaten, die sich mit EU-Programmen, dem Bologna-Prozess und der Internationalisierung der Hochschulbildung beschäftigen. 2016-2018 war sie in das Sekretariat der Bologna-Follow-up-Gruppe in Paris entsandt, um die Bildungsministerkonferenz 2018 vorzubereiten.