“Internationale Studierende sind häufiger finanziellen Sorgen ausgesetzt”
Dr. Anna Marczuk von der AG Hochschulforschung an der Universität Konstanz und Dr. Markus Lörz vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main (DIPF) haben vor Kurzem gemeinsam die Analyse” Did the Poor Get Poorer? The Impact of COVID-19 on Social Inequalities Between International and Domestic Students” veröffentlicht. Im Interview mit uns erläutern sie, was der Anlass hierfür war, welche zentralen Befunde sich dabei in Bezug auf die internationalen Studierenden ergaben und welche Schlussfolgerungen sich aus daraus für Hochschulpolitik und Hochschulpraxis ergeben.
Könnten Sie uns zunächst noch einmal kurz den Anlass Ihrer Untersuchung und deren Methodik erläutern? Was waren also genau Ihre Forschungsfragen und wer wurde hierfür befragt?
Markus Lörz: Anlass der Studie waren die veränderten Studienbedingungen aufgrund der COVID-19 Pandemie. Um schnell einen Eindruck über die Studiensituation der Studierenden zu erhalten, wurden im Rahmen der SITCO-Befragung Studierende vom ersten bis zum letzten Semester zu den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie befragt. Ein Ziel dieser Studie war es herauszufinden, welche Studierenden vor besonderen Herausforderungen durch die veränderte Studiensituation stehen. Im Rahmen unserer Untersuchung „Did the Poor Get Poorer?“ sind wir schnell auf die internationalen Studierenden gestoßen – eine in Deutschland besonders vulnerable Studierendengruppe, die bereits vor der COVID-19-Pandemie vor besonderen Herausforderungen stand. Wir haben uns daher gefragt, wie sich die Studienbedingungen der verschiedenen Studierendengruppen im Zuge der COVID-19 Pandemie verändert haben und welche Auswirkungen dies auf die Studiendauer von internationalen Studierenden in Deutschland hatte.
Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Befunde, insbesondere in Bezug auf die internationalen Studierenden? Haben bestimmte Befunde Sie besonders überrascht?
AnnaMarczuk:Ein zentrales Ergebnis unserer Studie ist, dass es für alle Studierenden schwieriger geworden ist – aber aus unterschiedlichen Gründen. Während für internationale Studierende insbesondere die Finanzierungssituation schwieriger wurde, stellen die veränderten Lernbedingungen die Studierenden aus Deutschland vor neue – bislang nicht gekannte – Herausforderungen.
Überraschend für uns war, dass finanzielle Probleme das Studium verlängern können. Man hätte auch umgekehrt erwarten können, dass beispielsweise ein Jobverlust dazu führt, dass die Studierenden nun über mehr Zeit fürs Studium verfügen und dies die Studiendauer verkürzt. Es ist aber vielmehr so, dass finanzielle Sorgen eher zu einer Verlängerung des Studiums führen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass internationale Studierende häufiger finanziellen Sorgen ausgesetzt sind und von einem höheren Stresslevel berichten. Ursächlich hierfür ist vor allem die im Zuge der COVID-19-Pandemie deutlich verschlechterte finanzielle Situation ihrer Eltern. Die Eltern internationaler Studierender waren in der COVID-19-Pandemie stärkeren Einkommensverlusten ausgesetzt. Dies ist angesichts der stärkeren Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in anderen Ländern und den geringeren wohlfahrtstaatlichen Unterstützungsmöglichkeiten nachvollziehbar.
Für Studierende aus Deutschland stellt demgegenüber eher die veränderte Lern- und Kontaktsituation eine Herausforderung dar. Internationale Studierende hatten bereits vor der Pandemie, aufgrund von sprachlichen Barrieren, größere Lernschwierigkeiten und waren sozial isolierter. Für Studierende aus Deutschland stellt dies eine neue – verschlechterte – Situation dar, während internationale Studierende bereits vor der COVID-19-Pandemie im Studium stärker auf sich allein gestellt waren.
Der differenzierte Blick offenbart also hinsichtlich der Entwicklung sozialer Ungleichheiten zwei gegenläufige Prozesse. Für die Situation nach der COVID-19-Pandemie gilt es nun zu überlegen, wie man die an sich herausfordernde Situation für internationale Studierende verbessern kann.
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus Ihrer Sicht aus Ihren Befunden für die Hochschulpolitik und die Hochschulpraxis?
Lörz:Wir haben aus unseren Befunden gelernt, dass es in Krisensituationen wichtig ist, für alle Studierenden eine finanzielle Grundlage zu schaffen. Deutschland hat zwar einige COVID-19-bezogene Maßnahmen ergriffen, aber Maßnahmen wie die Verlängerung des BAföG-Bezuges zielten stärker auf die bereits in Deutschland lebenden Studierenden ab. Die internationalen Studierenden dürfen in solchen Situationen aber nicht vergessen werden, denn in deren Heimatländern scheint es offenbar nicht in demselben Maße solche Unterstützungsmöglichkeiten zu geben.
Marczuk: Mit Blick auf den Ausbau und die wachsende Bedeutung digitaler Prozesse im Bildungsbereich gilt es zu überlegen, wie es im Rahmen neuer digitaler Formate gelingen kann, internationale Studierende besser zu integrieren. In Deutschland erfolgt das Lernen stärker als in anderen Ländern über den direkten Austausch, sodass die Einführung digitaler Formate nochmals eine besondere Herausforderung darstellt. Darüber hinaus haben wir gelernt, dass die digitalen Formate – wie Videoaufzeichnungen – für internationale Studierende auch die Chance bieten, besser an der Lehre zu partizipieren und Lehrinhalte im eigenen Tempo aufzunehmen. Inwieweit die aktuelle Diskussion um ChatGPT die Situation der internationalen Studierenden nochmals verbessern kann, gilt es abzuwarten.
Zur Person
Anna Marczuk ist Projektkoordinatorin der AG Hochschulforschung an der Universität Konstanz. Sie beschäftigt sich mit Forschungsfragen innerhalb der Bildungs- und Arbeitsmarktforschung und arbeitete zuvor an der Universität Hannover und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Markus Lörz ist Leiter der Forschungsgruppe „Entstehung und Abbau von Bildungsungleichheiten im Kindes- und Jugendalter“ am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main. Zuvor arbeitete er am HIS-Institut für Hochschulentwicklung in Hannover, der Leibniz Universität Hannover, Friedrich-Schiller Universität Jena und Otto-Friedrich Universität Bamberg.
Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.