“Das Bewerbungsverfahren für internationale Studieninteressierte ist sehr zeitaufwendig”
Die neue Ausgabe von „DAAD Forschung kompakt“ fasst bisherige Befunde des Forschungsprojekts „Studienkollegs für internationale Studieninteressierte – Studienvorbereitung im Wandel“ (Stukol) zusammen. Im Interview erläutert Projektmitarbeiterin Rocio Ramirez vom Institut für Hochschulforschung an der Martin- Luther-Universität Halle Wittenberg, was der Anlass für das Forschungsprojekt war, wie sich die aktuelle Situation der Studienvorbereitung für internationale Studierende in Deutschland darstellt und welche praktischen Konsequenzen sich ihrer Einschätzung nach aus den Befunden des Projekts ergeben.
Warum beschäftigen Sie sich in Ihrem Forschungsprojekt mit der Studienvorbereitung internationaler Studieninteressierter an staatlichen Studienkollegs? Gab es hierfür einen konkreten Anlass?
Es gab mehrere Faktoren, die uns dazu bewogen haben, uns mit strukturellen und inhaltlichen Merkmalen sowie mit der Geschichte und aktueller Entwicklung der Studienvorbereitung an staatlichen Studienkollegs in Deutschland zu befassen. Zum einen gab es in der Förderlinie „Studienerfolg und Studienabbruch“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung drei Projekte, die sich zwischen 2017 und 2020 explizit mit den Einflussfaktoren für den Studienverlauf und Studienerfolg internationaler Studierender intensiv auseinandergesetzt haben. Aus den Ergebnissen dieser Projekte konnten wir entnehmen, dass die Studienvorbereitung an staatlichen Studienkollegs als Institution und als Einflussfaktor für den Studieneinstieg, -verlauf und -erfolg dieser Gruppe bisher kaum untersucht wurde.
Zum anderen stellten wir fest, dass im Laufe der letzten 15 Jahre einige staatliche Studienkollegs geschlossen wurden, und die Gründe dafür waren nicht leicht nachzuvollziehen. Konkret wurden Studienkollegs geschlossen, ohne ihren Einfluss auf den Studienverlauf und –erfolg internationaler Studierender hinreichend zu untersuchen. Darüber hinaus folgten auf die Schließung einiger Studienkollegs sowie auf die Öffnung des Hochschulzugangs alternative Studienvorbereitungs- und Studieneinstiegsmaßnahmen, die die Wege zur Studienaufnahme aus Sicht der internationalen Studieninteressierten komplexer und unübersichtlicher erscheinen lassen.
Ein weiterer Faktor war, dass die Schließung einiger staatlicher Studienkollegs nicht mit den steigenden Bewerbungszahlen internationaler Studieninteressierter zusammenpasste. All diese Umstände führten dazu, dass wir in der zweiten Förderperiode eine Projektidee zum Thema „Studienkollegs für internationale Studieninteressierte – Studienvorbereitung im Wandel“ eingereicht haben und das Stukol-Projekt nun von April 2021 bis März 2024 durchführen können.
Basierend auf Ihren bisherigen Befunden: Wie würden Sie die aktuelle Situation der Studienvorbereitung für internationale Studierende in Deutschland beschreiben?
Die Situation der Studienvorbereitung für internationale Studieninteressierte befindet sich derzeit in einem dynamischen Zustand. Neben den etablierten staatlichen Studienkollegs gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Möglichkeiten für die Vorbereitung und den Einstieg ins Studium, die teilweise auf dem Modell und der Expertise der Studienkollegs basieren. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben auch die Erprobung digitaler Formate beschleunigt, so dass neben dem Präsenzunterricht allmählich auch digitale Elemente integriert werden können. Diese werden derzeit im Rahmen von Diskussionen innerhalb der Studienkollegs und anderen Organisationen angesprochen, die in Verbindung mit ihnen stehen, wie z.B. die Hochschulrektorenkonferenz und die Kultusministerkonferenz.
Welche praktischen Schlussfolgerungen ergeben sich aus diesen Befunden Ihrer Einschätzung nach? Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Das Bewerbungsverfahren für internationale Studieninteressierte ist sehr zeitaufwendig, insbesondere dann, wenn es sich herausstellt, dass die entsprechenden Studienbewerberinnen und -Bewerber vor Studienaufnahme an einer Studienvorbereitungsmaßnahme teilnehmen müssen. Einige Bewerberinnen und Bewerber erfahren erst bei der Überprüfung ihrer Unterlagen, dass sie an einem Studienkolleg oder einer ähnlichen Einrichtung teilnehmen und die Feststellungsprüfung absolvieren müssen. Darüber hinaus variiert die Nachfrage nach Studienkollegplätzen je nach Standort, und die Voraussetzungen für die Einladung zur Aufnahmeprüfung sind teilweise unterschiedlich. Angesichts der begrenzten Anzahl staatlicher Studienkollegs könnte die Erprobung eines zentralisierten Bewerbungsverfahrens lohnend sein. Dies hätte den Vorteil, dass Mehrfachbewerbungen und das Nachrückverfahren einfacher zu handhaben wären. Dies würde auch die Planung von Erweiterungen der Kapazitäten, beispielsweise in Bezug auf Schwerpunktkurse, Hochschulart und Standort, erleichtern.
In Bezug auf die sprachlichen Anforderungen für die Aufnahme am Studienkolleg ist erkennbar, dass mitgebrachte Sprachzeugnisse, selbst wenn sie als äquivalent gelten, nur begrenzt Aufschluss über die sprachlichen Kompetenzen für das Studienkolleg oder das Studium geben. Den Bewerbern und Bewerberinnen sollte nahegelegt werden, Sprachkurse zu absolvieren, die sie explizit auf das Studium vorbereiten. Das Angebot solcher Kurse sollte sowohl in Deutschland als auch in den Herkunftsländern erweitert und auf die Bedürfnisse der Studienbewerber und -bewerberinnen zugeschnitten werden.
Die Bewerbungszahlen aus dem Jahr 2022 zeigen, dass mehr Studienkollegplätze und Studienvorbereitungsmaßnahmen benötigt werden, als derzeit verfügbar sind. Hinzu kommen gesellschaftspolitische Entwicklungen wie aktuelle Fluchtbewegungen aus der Ukraine und anderen Ländern, die die Relevanz etablierter Strukturen wie die staatlichen Studienkollegs zur Eingliederung von Menschen ins Bildungssystem noch weiter unterstreichen. Daher sollte eine Erweiterung der Aufnahmekapazität in Betracht gezogen werden, anstatt weitere Schließungen zu erwägen.
Die Entstehung und Erprobung von neuen Studienvorbereitungsmaßnahmen und alternativen Studieneinstiegsmodellen wird voraussichtlich aus verschiedenen Gründen weiterhin bestehen. Einige Bundesländer und Hochschulen möchten dadurch nicht nur die Studierende explizit auf das lokale Studienangebot möglichst passend vorbereiten, sondern sie an das Bundesland und dessen Hochschulen binden. Es ist wichtig, gewisse Standards innerhalb dieser Maßnahmen zu etablieren, um das gemeinsame Ziel zu erreichen: eine gute Vorbereitung internationaler Studieninteressierter auf das Studium, damit sie dieses erfolgreich abschließen können. Dafür sollte der Dialog zwischen Hochschulen oder auch Studiengängen mit unterschiedlichen Studienvorbereitungsmaßnahmen ermöglicht und intensiviert werden.
Zur Person
Rocio Ramirez ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg und forscht dort u.a. im Rahmen des Projekts „Studienkollegs für internationale Studieninteressierte – Studienvorbereitung im Wandel“ (Stukol) sowie zum Thema Internationalisierung und Hochschul(system)- Governance.
Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.