“Die Teilnahme an Freizeitangeboten der Hochschule stärkt das Zugehörigkeitsgefühl”
Theresa Thies und Susanne Falk forschen am Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung in München zum Studienerfolg internationaler Studierender in Deutschland. Im Interview berichten sie von den Befunden ihrer aktuellen Analyse zum Zusammenhang von Freizeitangeboten der Hochschule, sozialen Kontakten und dem Gefühl der Hochschulzugehörigkeit bei internationalen Studierenden. Dabei zeigt sich: Teilnahme an den Angeboten und Kontakt zu deutschen Studierenden wirken sich positiv auf die Hochschulzugehörigkeit aus.
Frau Thies und Frau Falk, Sie haben sich in Ihrer aktuellen Analyse mit dem Einfluss von extracurricularen Aktivitäten und sozialen Kontakten von internationalen Studierenden in Deutschland auf deren Zugehörigkeitsgefühl zur Hochschule beschäftigt. Was war der Grund dafür, dass Sie sich genau diesen Zusammenhang anschauen wollten?
Thies: Aktuelle Zahlen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung zeigen, dass viele internationale Studierende ihr Studium vorzeitig abbrechen. Dies könnte an sprachlichen, finanziellen oder administrativen Schwierigkeiten liegen – aber auch an fehlenden sozialen Netzwerken. Internationale Studierende können nicht auf bestehende soziale Netzwerke zurückgreifen. Sie müssen diese im Zielland unter eventuellen sprachlichen und kulturellen Hürden neu aufbauen. Bisherige Forschungsergebnisse zeigen, dass Studierende, die gut sozial integriert sind und ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zur Hochschule empfinden, seltener über einen Studienabbruch nachdenken.
Falk: An vielen Hochschulen gibt es jetzt schon viele Freizeitangebote für nationale und internationale Studierende, wie etwa Hochschulsport, Exkursionen, Sprachtandem- oder Buddy-Programme. Darüber hinaus gibt es noch Hochschulgruppen, die meist von Studierenden selbst organisiert werden. Die Hochschulen haben erkannt, dass sie internationale Studierende bei dem Aufbau der Netzwerke stärker unterstützen müssen. Doch kann die Teilnahme an diesen Aktivitäten auch das Zugehörigkeitsgefühl stärken? Und sind die sozialen Kontakte zu deutschen Studierenden wirklich so wichtig? Diesen Zusammenhang wollten wir näher untersuchen.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Befunde Ihrer Analysen? Gab es hier auch Ergebnisse, die Sie überrascht haben?
Thies: Kurz gesagt: Die Teilnahme an Freizeitangeboten der Hochschule stärkt das Zugehörigkeitsgefühl. Oder etwas wissenschaftlicher ausgedrückt: Der Wechsel von einer seltenen zu einer häufigeren Teilnahme an studentischen Hochschulgruppen und Freizeitangeboten der Hochschule geht einher mit einer höheren Ausprägung des Hochschulzugehörigkeitsgefühls. Insbesondere die Intensivierung der Kontakte zu deutschen und anderen internationalen Studierenden von seltenen zu täglichen Kontakten stärkt das Zugehörigkeitsgefühl – auch unter Kontrolle weiterer intervenierender Faktoren, wie etwa der Sprachkenntnisse.
Überrascht haben uns insbesondere die Unterschiede nach Studiengangssprache und Herkunftsregion. Bei Masterstudierenden in deutschsprachigen Programmen kann eine häufige Teilnahme an Freizeitangeboten der Hochschulen zu einer Steigerung des Hochschulzugehörigkeitsgefühl führen – insbesondere, wenn für diese Deutsch eine Fremdsprache ist. Für Studierende in englischsprachigen Studiengängen kann eine häufigere Teilnahme an den Freizeitangeboten allerdings mit einem niedrigeren Hochschulzugehörigkeitsgefühl einhergehen. Eine mögliche Erklärung ist, dass sich Studierende aus englischsprachigen Studiengängen ausgeschlossen fühlen – diese besitzen oftmals keine oder schlechte Deutschkenntnisse. Es würde also womöglich die Zugehörigkeit stärken, wenn Studiensprache und Freizeitangebotssprache übereinstimmen. Hinsichtlich der Herkunftsregion wird oftmals die Mutmaßung geäußert, dass asiatische Studierende seltener mit deutschen Studierenden interagieren. Unsere Daten zeigen, dass dies auch der Fall ist: Nur etwa 20 Prozent der Studierenden aus Asien/ Pazifik geben täglichen Kontakt zu deutschen Studierenden an. Etwa die Hälfte steht in täglichem Kontakt zu Studierenden des eigenen Herkunftslands. Diese Befunde decken sich mit Studien aus dem englischsprachigen Raum. Jedoch gibt es eine hohe Anzahl an asiatischen Studierenden in Deutschland – die Hauptherkunftsländer sind China und Indien. Für Studierende aus diesen Herkunftsländern gibt es somit auch eine höhere Chance, Freunde aus dem eigenen Herkunftsland an der Universität zu finden. Für Studierende aus der Region Asien und Pazifik zeigt sich ein schwach positiver Effekt der zunehmenden Kontakte mit deutschen Studierenden auf das Zugehörigkeitsgefühl – dieser ist aber in den ersten beiden Studiensemestern nicht statistisch signifikant.
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus Ihrer Sicht hieraus für die Hochschulpraxis?
Falk: Die Studienergebnisse legen nahe, dass Universitäten interkulturelle Kontakte noch stärker als bisher fördern sollten. Dabei sind unterschiedliche Herangehensweisen denkbar: Lehrende können in ihren Veranstaltungen gezielt interkulturelle Gruppen bilden. Zudem sollten Hochschulen solche Freizeitangebote anbieten, die sich an den Bedürfnissen ihrer Studierendenschaft orientieren. Das heißt, wenn es viele englischsprachige Studiengänge gibt, sollten Studierende im Hochschulkontext auch englischsprachig betreut werden können – zum Beispiel durch englischsprachige Verwaltungsmitarbeitende und ein englischsprachiges Freizeitangebot. Darüber hinaus sollten die Angebote deutsche und internationale Studierende gleichzeitig ansprechen, damit der interkulturelle Austausch gefördert werden kann. Optimal sind Angebote, die sowohl den interkulturellen Austausch als auch die Sprachkenntnisse fördern – wie etwa Tandem- oder Buddy-Programme.
Zur Person
Theresa Thies ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung in München. Sie hat in Leipzig Kommunikations- und Medienwissenschaften (B.A.) und Soziologie (B.A.) studiert. 2018 schloss sie ihr Masterstudium in Soziologie an der Universität Mannheim ab. Im Rahmen des soziologischen Teilprojekts InterMINT sowie des Vorgängerprojekts SeSaBa promoviert sie zum Studienerfolg internationaler Studierender in Deutschland.
Dr. Susanne Falk ist wissenschaftliche Referentin am Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung in München. Sie hat Politikwissenschaft und Soziologie an den Universitäten Heidelberg und Hamburg studiert und an der Universität Bremen in Soziologie zum Thema „Geschlechtsspezifische Ungleichheit im Erwerbsverlauf“ promoviert. Sie ist Projektleiterin des soziologischen Teilprojekts InterMINT sowie des Vorgängerprojekts SeSaBa.
Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.