“Die Forschung zeigt, dass Migration auch in den Herkunftsländern positive Wirkungen hat”
Johannes Haushofer ist Entwicklungsökonom und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der National University of Singapore und an der Universität Stockholm. Eines seiner zentralen Forschungsinteressen ist die Verringerung von Armut im Globalen Süden. Gleichzeitig ist er aber auch als Praktiker in diesem Bereich aktiv: Im Jahr 2021 gründete er die Organisation Malengo, die Schulabsolventinnen und -absolventen aus Niedrigeinkommensländern ein Studium in Europa ermöglicht. Die Wirkung von deren Förderung wird von einem unabhängigen Forschungsteam wissenschaftlich untersucht. Im Interview erläutert Johannes Haushofer, wie er zur Untersuchung der Effekte von Bildungsmigration kam, wie das Malengo-Projekt genau funktioniert und welche Forschungsfragen bei der Untersuchung von dessen Wirkung im Vordergrund stehen.
Herr Haushofer, Sie haben kürzlich Ihren Forschungsfokus verändert, weg von der Untersuchung der Effekte von bedingungslosen Geldtransfers auf die Armutsverringerung im Globalen Süden und hin zur Untersuchung der Effekte von Bildungsmigration. Wie kam es dazu? Und wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Kritik, dass Bildungsmigration zu einem „Brain Drain“ in den Herkunftsländern beiträgt?
Das Hauptziel meiner Forschung war schon immer, so effektiv und weitreichend wie möglich Armut zu verringern. Geldtransfers haben sich dafür als einigermaßen erfolgreich herausgestellt, weil sie den Empfängern ermöglichen, selbst zu bestimmen, wie das Geld am effektivsten eingesetzt wird. Aber sie haben zwei Probleme: Erstens sind die Auswirkungen nicht besonders groß. Wenn man einer Familie 1.000 Dollar gibt, steigt ihr Einkommen über die nächsten ein bis drei Jahre um etwa zehn bis 20 Prozent. Das ist respektabel, aber wenn man bei einem Einkommen von einem Dollar am Tag anfängt, nicht lebensverändernd. Zweitens sind die Wirkungen nicht besonders nachhaltig: nach etwa drei bis fünf Jahren sind sie verflogen.
Aus dieser Enttäuschung heraus habe ich überlegt, welche Interventionen Armut entscheidend und langanhaltend verringern können. Dabei kommt man sehr schnell auf Migration: In Hocheinkommensländern verdienen Durchschnittsfamilien etwa 20 bis 30 Mal so viel wie in Niedrigeinkommensländern. Wenn man diese dramatischen Unterschiede durch Migration auch nur teilweise zugänglich machen kann, verringert man Armut womöglich signifikant und nachhaltig. Dazu kommt, dass in vielen Hocheinkommensländern Einwanderung dringend nötig ist, um bei sinkenden Bevölkerungszahlen die Lebensqualität zu sichern. Außerdem zeigt die Forschung, dass Migration auch in den Herkunftsländern positive Wirkungen hat: Migrantinnen und Migranten schicken nicht nur Geld zurück, sondern erfüllen auch eine wichtige Vorbild- und Informationsfunktion, und Migrationsmöglichkeiten schaffen Anreize, in Bildung zu investieren. Insofern ist die Angst vor einem „Brain Drain“ nicht gerechtfertigt; die neuesten Erkenntnisse deuten eher auf einen „Brain Gain“ hin. Abgesehen davon ist das „Brain Drain“-Argument gegen Migration aus ethischer Sicht problematisch, weil es impliziert, dass Menschen aus Niedrigeinkommensländern abverlangt werden darf, ihr Leben und ihre Arbeitskraft in den Dienst ihres Heimatlandes zu stellen.
In diesem Zusammenhang haben Sie auch das Malengo-Programm ins Leben gerufen, das Hochschulabsolventinnen und -absolventen aus Uganda ein englischsprachiges Studium in Deutschland ermöglicht, indem es ihnen im ersten Jahr die Studien- und Lebenshaltungskosten finanziert. Können Sie kurz beschreiben, wie es genau zu diesem Projekt kam und wie es organisiert und finanziert wird?
Nachdem ich mich entschieden hatte, Migrationsmöglichkeiten zu eröffnen, kam ich relativ schnell auf Bildungsmigration und auf Deutschland als Ziel. Bildungsmigration ist attraktiv, weil sie die Einkommenseffekte von Migration mit denen von Ausbildung verbindet; und weil sie in Hocheinkommensländern oft willkommen ist, um den Fachkräftemangel zu verringern. Deutschland ist attraktiv, weil es an den meisten Hochschulen auch für Studierende aus Nicht-EU-Ländern keine Studiengebühren gibt — eine sehr schlaue Regelung aus deutscher Sicht, weil sie sich in der Rechnung der meisten Ökonominnen und Ökonomen durch Steuereinnahmen der Absolventinnen und Absolventen auszahlt. Es gibt inzwischen auch eine ganze Reihe Bachelor-Studiengänge auf Englisch, was den Zugang erleichtert. Die Tendenz ist steigend.
Aus diesen Überlegungen heraus gründete ich 2021 die Organisation Malengo, die Schulabsolventinnen und -absolventen aus Niedrigeinkommensländern ein Studium in Europa ermöglicht. Im ersten Jahr unterstützten wir eine Gruppe von sieben Jugendlichen aus Uganda. Im zweiten Jahr kamen weitere 17 dazu, und dieses Jahr 112. Für das kommende Jahr streben wir mindestens die gleiche Zahl an. Sowohl die deutschen Botschaften und Ministerien als auch die Hochschulen — oft kleinere Hochschulen für angewandte Wissenschaften— haben sich als hervorragende Partner erwiesen. Außerdem haben wir dieses Jahr eine erste Gruppe von Studierenden nach Frankreich geschickt, und für das kommende Jahr planen wir ein Pilotprogramm für berufliche Ausbildungen.
Unsere Studierenden werden von uns im Rahmen eines umfangreichen Mentoringprogramm betreut, das bei der Bewerbung an deutschen Hochschulen und beim Einleben in Deutschland hilft. Wir bezahlen auch die Bewerbungsgebühren, den Flug und die Lebenshaltungskosten im ersten Jahr. Danach finanzieren sich die Studierenden über Teilzeitjobs. Wenn sie später ein bestimmtes Mindesteinkommen erreichen, zahlen sie im Rahmen eines umgekehrten Generationenvertrages einen Teil davon an Malengo zurück, um die nächste Generation von Studierenden zu unterstützen. Dadurch können wir uns sowohl durch Spenden als auch durch Investitionen finanzieren.
Das Malengo-Programm ist nicht nur ein Förderprogramm, sondern auch ein Forschungsprojekt. Beforscht wird das Projekt und seine Wirkungen jedoch nicht von Ihnen selbst, sondern von sechs anderen Forscherinnen und Forschern, um eine möglichst unabhängige und objektive Forschung zu gewährleisten. Welche Forschungsfragen stehen bei der wissenschaftlichen Begleitung des Programms im Vordergrund?
Das ist in erster Linie eine Frage für das Forschungsteam, das in der Gestaltung des Projektes und der Forschungsfragen aus den erwähnten Gründen unabhängig und frei sein soll. Aber ich kann sagen, welche Fragen uns als Organisation interessieren. Weil das Hauptziel des Programms die Armutsbekämpfung ist, interessieren wir uns natürlich in erster Linie dafür, ob und wie stark sich der Lebensstandard der Studierenden verbessert. Darüber hinaus haben wir dem Forschungsteam besonderes Interesse an drei Aspekten kommuniziert: Erstens wollen wir nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die anderweitigen Auswirkungen des Programms verstehen. Zum Beispiel wollen wir nicht nur wissen, ob die Studierenden gut verdienen, sondern auch, ob sie glücklich sind. Zweitens ist uns wichtig, dass nicht nur positive, sondern auch mögliche negative Wirkungen des Programms untersucht werden. Um beim Beispiel zu bleiben: Vielleicht verdienen unsere Studierenden zwar gut, sind aber einsam. Das wäre wichtig zu erfassen. Drittens sind uns nicht nur die direkten Auswirkungen für die Studierenden wichtig, sondern auch mögliche Auswirkungen für die Eltern und Geschwister im Heimatland, für Freunde und Bekannte sowie für die Heimatgemeinden. Auch hier ist von Bedeutung, nicht nur positive, sondern auch mögliche negative Effekte zu verstehen. Ob und wie diese Fragen tatsächlich verfolgt werden, bleibt dem Forschungsteam überlassen.
Zur Person
Johannes Haushofer ist Goh Keng Swee Professor für Wirtschaftswissenschaften an der National University of Singapore und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Stockholm. Seine Forschungsinteressen liegen in der Entwicklungsökonomie und Verhaltensökonomie. Er hat einen BA in Psychologie, Physiologie und Philosophie von der Universität Oxford, einen PhD in Neurobiologie von der Harvard University, und einen PhD in Wirtschaftswissenschaften von der Universität Zürich.
Batista, C.; Lacuesta, A.; Vicente, P. C. (2012). Testing the ‘Brain Gain’ Hypothesis: Micro Evidence from Cape Verde. Journal of Development Economics 97 (1): 32–45. https://doi.org/10.1016/j.jdeveco.2011.01.005.
Dinkelman, T.; Mariotti. M. (2016). The Long-Run Effects of Labor Migration on Human Capital Formation in Communities of Origin. American Economic Journal: Applied Economics 8 (4): 1–35. https://doi.org/10.1257/app.20150405.
Quelle: Eric Lichtenscheid
Autor: Dr. Jan Kercher, DAAD
Jan Kercher ist seit 2013 beim DAAD tätig und Projektleiter für die jährliche Publikation Wissenschaft weltoffen. Darüber hinaus ist er im DAAD für verschiedene andere Projekte zum Austausch zwischen Hochschulforschung und Hochschulpraxis sowie die Durchführung von Studien- und Datenerhebungsprojekten zur akademischen Mobilität und Internationalisierung der Hochschulen zuständig.