„Interessant war dabei, dass die Alumni teilweise Entwicklungsbeiträge von Deutschland aus effektiver leisten konnten, als wenn sie ins Herkunftsland zurückmigriert wären“
Dr. Sascha Krannich war kürzlich in der DAAD-Wissenschaftswerkstatt zu Gast und präsentierte Forschungsergebnisse aus seiner Studie „Should they stay or should they go? A case study on international students in Germany“. In diesem Interview erläutert Dr. Krannich die wesentlichen Erkenntnisse der Studie, in der festgestellt wurde, dass internationale Studierende aus dem Globalen Süden durch ihr Studium in Deutschland signifikante Entwicklungsbeiträge für ihre Herkunftsländer leisten können. Diese Beiträge erfolgen entweder durch ihre Rückkehr oder über transnationale Netzwerke, durch die Wissen und Kapital übertragen werden. Ein herausragendes Beispiel ist ein palästinensischer Arzt in Deutschland, der ein Fortbildungsprogramm für Ärzte aus den Palästinensischen Autonomiegebietenins Leben gerufen hat. Weiterhin thematisierte Dr. Krannich die hohen bürokratischen Hürden und die komplizierten Einreisebestimmungen, die internationale Mobilität erschweren. Er betonte jedoch auch die Chancen, die sich sowohl für die Herkunfts- als auch die Empfängerländer aus den kulturellen und wirtschaftlichen Bereicherungen ergeben. Schließlich diskutierte er, wie das Potenzial internationaler Studierender für die Entwicklung ihrer Heimatländer und die Bekämpfung des Fachkräftemangels in Deutschland miteinander in Einklang gebracht werden können. Hochschulen spielen dabei eine entscheidende Rolle, indem sie Studierende gezielt auf berufliche Anforderungen vorbereiten und Kooperationen mit Institutionen in den Herkunftsländern fördern.
Dr. Sascha Krannich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin an der Justus-Liebig-Universität Gießen. (Bildquelle: Katrina Friese)
Sie haben kürzlich einen Vortrag zum Thema „Das Potenzial internationaler Studierender für die Entwicklung ihrer Herkunftsländer“ in der DAAD-Wissenschaftswerkstatt gehalten. Könnten Sie Ihre Kernergebnisse kurz skizzieren?
In unserer Forschung beschäftigen wir uns im Wesentlichen mit der Frage, inwieweit internationale Studierende nach ihrem Studium zur Entwicklung ihrer Herkunftsländer im Globalen Süden beitragen können. Die Ergebnisse zeigen, dass sie das tatsächlich auf ganz vielfältige Art und Weise tun können. So haben wir in unserem ersten Forschungsprojekt über Studierende aus Ghana, Indonesien, Kolumbien, Georgien und den Palästinensischen Autonomiegebieten, die mit einem Stipendium in Deutschland studiert haben, herausgefunden, dass sie sowohl durch ihre Rückkehr in das Herkunftsland als auch über transnationale Netzwerke von Deutschland aus Wissen und Kapital in die Herkunftsländer transferieren können. Interessant war dabei, dass die Alumni teilweise Entwicklungsbeiträge von Deutschland aus effektiver leisten konnten, als wenn sie ins Herkunftsland zurückmigriert wären. Um das an einem Beispiel deutlich zu machen: Ein palästinensischer Alumnus, der als Facharzt an einem Krankenhaus im Ruhrgebiet arbeitet, hat zusammen mit einer Klinik im Westjordanland ein Austauschprogramm aufgebaut, in dessen Rahmen jedes Jahr palästinensische Ärzt*innen zu einer sechsmonatigen Fortbildung nach Deutschland kommen. Dabei können die eingeladenen Ärzt*innen sich in allen medizinischen Fachbereichen weiterbilden, insbesondere an Geräten und Instrumenten, die es in palästinensischen Krankenhäusern nicht oder erst seit kürzerer Zeit gibt, aber für die noch nicht das ausreichende Know-how und die Erfahrungen vorhanden sind. Dabei sind auch mehrere deutsche Ärzte involviert. Für die palästinensischen Ärzte ist die Weiterbildung kostenlos. Indem das Wissen durch die Ärzt*innen immer wieder in die palästinensischen Autonomiegebiete zurückgetragen wird, würde nach Meinung dieses Arztes eine viel größere Wirkung erzielt als durch seine eigene Rückkehr. Überhaupt konnten viele palästinensische Alumni zur Entwicklung des Gesundheitssystems in den palästinensischen Autonomiegebieten beitragen. Ferner ist auch interessant, dass es einen engen Zusammenhang zwischen den Studien- und Forschungsinhalten der Studierenden auf der einen und ihren späteren Entwicklungsbeiträgen auf der anderen Seite gibt. So befassten sich schon viele der interviewten Alumni in ihren Master- und Doktorarbeiten in Deutschland mit entwicklungsrelevanten Themen, die sie später in ihrem Beruf wieder aufgriffen.
Generell zeigt die Studie, dass palästinensische Alumni vor allem zu einer Verbesserung der Gesundheitsversorgung in den palästinensischen Autonomiegebieten, indonesische Alumni durch die Gründung von Unternehmen überwiegend zur ökonomischen Weiterentwicklung in Indonesien, ghanaische Alumni im Wesentlichen zur ökologischen Transformation der ghanaischen Landwirtschaft, georgische Alumni insbesondere zu Rechtsreformen in Georgien und kolumbianische Alumni größtenteils zur gesellschaftlichen Aufarbeitung des bewaffneten Konfliktes und zum Friedensprozess in Kolumbien seit 2016 beigetragen.
Was für Konflikte und Schwierigkeiten sehen Sie bei den Mobilitätsbewegungen internationaler Studierender und was für Chancen für die Herkunfts- und Empfängerländer?
Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist auch, dass sich internationale Studierende auch in Form zirkulärer Migration für das Herkunftsland engagieren können. So gibt es viele ehemalige Studierende, die nach ihrem Studium in weitere Länder gewandert sind oder über Jahre zwischen zwei Ländern hin- und herpendeln. Das tun sie zumeist im Rahmen ihres Jobs oder zivilgesellschaftlichen Engagements. Dennoch klagen die Studierenden und Alumni über hohe bürokratische Hürden und komplizierte Einreisebestimmungen für Deutschland. In manchen Ländern kann es Monate (manchmal sogar ein Jahr oder länger) dauern, ein Visum für Deutschland zu bekommen. Die Einführung von langfristigen Multiple-Entry-Visa könnte Abhilfe schaffen.
Auch die Einführung von Studiengebühren für internationale Studierende, wie zuletzt in Baden-Württemberg, wird von den Alumni eher negativ wahrgenommen. Für viele internationale Studierende ist Deutschland deswegen attraktiv, weil hier eben keine oder deutlich geringere Studiengebühren erhoben werden als in den meisten anderen Ländern. Für die Alumni in unserer Studie war Deutschland „nur die zweite Wahl“ nach den englischsprachigen Ländern wie den USA oder Großbritannien. Die Anstrengungen müssten eigentlich in die andere Richtung gehen, nämlich ein Studium internationaler Studierender in Deutschland zu erleichtern und sie in ihrem umfangreichen Engagement zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland stärker zu unterstützen.
Wie kann das Potenzial internationaler Studierender sowohl für die Entwicklung ihrer Heimatländer als auch für den Fachkräftemangel in Deutschland in Einklang gebracht werden? Welche Rolle sollen Hochschulen dabei spielen?
Internationale Studierende könnten bereits während des Studiums noch gezielter auf mögliche Arbeits- und Forschungsbereiche vorbereitet werden. Zudem könnte genauer eruiert werden, welche Möglichkeiten der Kooperationen es mit Hochschulen in den Herkunftsländern geben könnte und inwieweit Studierende aus diesen Ländern später eine Brücken- und Mittlerfunktion einnehmen könnten. Auch könnten die Studierenden bereits im Rahmen von Bachelor- und Masterarbeiten gezielter mit wichtigen Problemstellungen in ihren Herkunftsländern betraut werden.
Die positiven Effekte internationaler Studierender in Deutschland sind nicht zu übersehen: Sie bringen neue Sprachen, Kulturen und Perspektiven auf den Campus und vermitteln diese an Kommilliton*innen sowie Lehrende und Forschende. Wenn sie nach dem Studium in Deutschland bleiben, werden sie zu wichtigen Fachkräften des Standorts Deutschland. Aber welche Rolle sie eben auch für das Herkunftsland spielen, wird noch zu wenig erkannt: Sie entwickeln als Postdocs oder Professor*innen neue Lehrmethoden und Forschungsansätze. Zudem sind durch sie neue Netzwerke für deutsche Universitäten in den Herkunftsländern entstanden. So sind in allen Fallstudienländern Beispiele zu finden, wie Alumni neue Forschungsprojekte und Austauschprogramme für Studierende mit Universitäten in Deutschland initiiert haben.
Darüber hinaus könnten internationale Studierende stärker in das bereits bestehende Netzwerk von migrationsbezogenen Entwicklungsorganisationen eingebunden werden. So könnten die in der Entwicklungszusammenarbeit arbeitenden Organisationen vor Ort (wie z.B. DAAD, GIZ, Goethe-Institute, Botschaften, Universitäten, Stiftungen oder Diasporaministerien) untereinander besser vernetzt sein und auch die ehemaligen Studierenden aus Deutschland besser in ihre Arbeit einbinden. Viele Alumni kennen zwar entwicklungsrelevante Akteure persönlich, mit denen sie aber nur punktuell zusammenarbeiten. Hier könnte man an die vielerorts gegründeten Alumni-Vereine anknüpfen. Über diese Vereine bleiben die ehemaligen Studierenden nicht nur untereinander in Kontakt, sondern ggf. auch mit ihren Universitäten und Stipendienorganisationen in Deutschland, wie dem DAAD oder KAAD.
Zur Person
Dr. Sascha Krannich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Sprecher des AK Migrationspolitik der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW), Mitglied im Rat für Migration (RfM) und Mitherausgeber der Buchreihe „Studien zur Migrations- und Integrationspolitik” im Springer VS Verlag. Zudem ist er Lehrbeauftragter an der Hochschule Fulda. Im Rahmen seiner Forschungsprojekte unternahm er Forschungsaufenthalte u.a. am Centre on Migration, Policy and Society (COMPAS) der University of Oxford, an der Princeton University, der University of California, Los Angeles (UCLA) sowie an der Universidad Javeriana Bogotá in Kolumbien und der Kumasi University in Ghana. Zurzeit arbeitet er am Forschungsprojekt “The Impact of Studies and Scholarships Abroad on Developmental Commitment at Home. A Case Study about DAAD and Fulbright Alumni from the Global South” (mit Uwe Hunger, gefördert durch die DFG).
Sascha Krannich (2024): International Student Mobility in the Context of Migration and Development, Migration and Development, available from: https://doi.org/10.1177/21632324241235034
Sascha Krannich and Uwe Hunger (2022): Should they stay or should they go? A case study on international students in Germany, Comparative Migration Studies 10, 39, available from: https://doi.org/10.1186/s40878-022-00313-0
Jessica Schüller ist beim DAAD als Referentin in der Campus-Initiative für internationale Fachkräfte tätig. Sie ist für das Forschungs- und Studienportfolio zuständig.